Abschnitt ErDa-8 des ErDa-Projektes:
VIII. 1. Betrachtung der vedana .
und anderer khandhas in der Meditation .
letzte Änderungen une Erweiterungen am 6. Januar 2018
Der Buddha fordert uns auf, in der Meditation die khandhas zu betrachten, die „fünf Gruppen“. Er hat uns erläutert, dass alle diese khandhas letztendlich leer sind, dass dort kein Ich zu finden ist.

Genau daran möchte ich heute ansetzen. In meinem Vortrag geht es aber nicht ums Reflektieren über die fünf khandhas, sondern darum, wie wir diese in der Meditation erfahren können und wie wir sie zur Grundlage unserer Praxis machen können. Denn leider eignen sich nicht alle khandhas besonders gut für geleitete Meditationen, ich will euch also ermutigen, die khandhas selber zu betrachten.

Hören – Reflektieren – Meditieren“ ist die Art, wie im Buddhismus traditionell Erkenntnisse erfahren werden. Es ist gut, etwas über die khandhas zu hören, aber erst, wenn wir über die khandhas reflektieren, beginnen wir sie zu erfahren. Und nur, wenn wir auch über sie meditieren, werden wir sie wirklich verstehen.

Es bleibt also die Frage: wie reflektiert man über die fünf khandhas – und natürlich, was sind eigentlich die fünf khandhas, die fünf Gruppen, aus denen das besteht, was wir fälschlicherweise für unser Ich halten.

Und diese fünf khandhas sind in Kürze:

        • rupa-kkhandha
        • vinnana-kkhandha
        • sanna-kkhandha
        • vedana-kkhandha und
        • samskara-kkhandha
Rupa heißt „Form“, unter dem rupa-khandha versteht man alles, was mit unserem materiellen Körper zu tun hat, einer der fünf Gruppen, aus denen Du bestehst. Und wir sagen „Gruppen“ und nicht „Bestandteile“, weil ja der Körper wiederum aus unterschiedlichen Elementen besteht, also nach einer Einteilung aus Haut, Knochen, Muskeln, Nerven usw., nach einer anderen aus Kopf, Rumpf, Händen usw. und nach einer dritten aus Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff, Magnesium usw.
 
Alles, was den Körper betrifft, ist also unser rupa-kkhandha. Dann gibt es das vinnana-kkhandha, das ist unser Bewusstsein. Sanna-kkhandha ist Wahrnehmung, also Hören, Sehen, Riechen, Fühlen, Schmecken und Denken. Dann gibt es das vedana-kkhandha, das sind unsere Bewertungen und schließlich das sankhara-kkhandha, die Willensregungen.

Ich möchte die khandhas in diesem Artikel unter dem Aspekt der Meditation besprechen: wie arbeite ich in Meditation mit den khandhas.

Nun mit dem rupa-kkhandha haben wir in der Meditation schon gearbeitet, hierzu gibt es mehrere Meditationen im Rahmen des ErDa-Projektes und auch die Atem-Betrachtung und das body-scanning in unseren ErDa-Meditationen sind eine rupa-kkhandha-Betrachtung. Unser Atem und die damit verbundenen Interaktionen zwischen Atem und Körper sind eine Betrachtung von rupa. Das kennen wir also schon vergleichsweise gut. Über eine der Betrachtungen möchte ich heute gar nichts sagen und das ist die Betrachtung des Bewusstseins. Das ist im Moment zu komplex.

Also bleiben drei khandhas, die ich jetzt erläutern werde, und das ist auch schon ziemlich viel. Also widmen wir uns heute der meditativen Arbeit mit drei der khandhas, nämlich von sanna (Wahrnehmung), vedana (Bewertung) und sankhara (Willensimpuls). Zur Verdeutlichung, was da abläuft ein Beispiel: ich sehe in einem Café eine Kellnerin ein Bier servieren (Wahrnehmung), empfinde „lecker“ (Bewertung) und habe den Willensimpuls zuzugreifen (ob zum Bier oder zur Kellnerin sei einmal dahingestellt).

Bild des Entstehens in Abhängigkeit in unserem Meditationsraum

Das wird auch in dem Bild des abhänigene Entstehens dargestellt, das aus dem tibetischen Lebensrad entnommen ist: das Haus mit fünf Fenstern und einer Tür (Bild 5, salayatana) steht für unsere Sinnesorgane, sie kommen mit etwas in Kontakt (phassa, Bild 6), es entsteht eine Empfindung, eine Gefühlsbewertung (Bild 7, vedana – angenehm, unangenehm oder neutral), dann entsteht ein Willensimpuls (Bild 8 hier tanha = Verlangen) und so kommt es zum Zugreifen und Festhalten (Bild 9, upadana).

Und genau das können wir in drei verschiedenen Meditationen machen, oder auch in einer Meditation mit drei Phasen: Phase 1 = Betrachtung von sanna (Wahrnehmung), Phase 2 = Betrachtung der vedana (emotionale Bewertung) und Phase 3 = Betrachtung der sankharas Willensimpulse). Wobei ich jetzt einmal die Reihenfolge dahingestellt sein lassen möchte.

Wichtig ist dabei, dass wir in einer Phase der Meditation, jeweils nur eine dieser Gruppen in den Fokus unserer Betrachtung stellen, also entweder Wahrnehmung, oder Bewertung oder den Willensimpuls.

Dazu passt eine Geschichte aus der Zeit des Buddha. Einst kam ein erfahrener Praktizierender namens Bahiya erstmals zum Buddha und wollte von ihm eine Belehrung, weil er das Gefühl hatte, dass sein Leben zu Ende ging (tatsächlich kam er noch gleichen Tages bei einem Unfall ums Leben), er erhielt eine ganz knappe Belehrung vom Buddha und erreichte auf der Stelle die Erleuchtung, ihr könnt die Geschichte auf unseren Internetseiten nachlesen, sie heißt Bahiya im Borkengewand.

Und was war diese Belehrung? Nun, ich fürchte, da ihr noch nicht so viel meditiert habt wie der Bahiya, werden ihr von diesen wenigen Worten nicht erleuchtet werden. Der Buddha sagte: „Im Gesehenen nur das Gesehene. Im Gehörten nur das Gehörte. Im Gefühlten nur das Gefühlte. Im Erkannten nur das Erkannte, dann Bahiya wirst du kein ICH finden, weder in dieser Erfahrung noch außerhalb. Das ist das Ende der Unvollkommenheit.“

Der Buddha beschreibt dabei genau, was wir in einer sanna-Meditation machen sollen: Wenn wir etwas sehen, soll da nur das Sehen sein. Lass also nichts anderes geschehen. Was wir im Leben jedoch meist machen, ist etwas ganz anderes: wir sehen etwas, z. B. ein Werbeplakat für eine Reise nach Sri Lanka, das ist nur die Wahrnehmung. Aber dann machen wir folgendes: in uns entsteht ein angenehmes Empfinden (vedana), in uns entsteht der Willensimpuls eine Reise zu machen (sankhara) und dann überlegen wie uns, wann wir hinfliegen könnten, mit wem wir hinwollen, was das kosten dürfte, wie wir unser Geld einteilen, damit es dafür langt, ob wir vielleicht deswegen Überstunden machen sollten, dass wir vielleicht doch nicht noch mehr Zeit bei Überstunden mit bestimmten Arbeitskollegen verbringen sollten, die Kollegin Schulze ist immer so nervig, erst neulich hat sie wieder… (papanca = geistiges Ausufern)

Merkt ihr, was ich gerade mache? Etwas wovor gar nicht oft genug gewarnt werden kann: papanca – geistiges Ausufern, Geplapper.

Also wenn wir sanna, unsere Wahrnehmungen betrachten wollen, dann betrachten wir nur diese Wahrnehmungen. Kaum dass wir Geräusch X gehört haben, sind wir schon wieder ganz achtsam, was als nächstes kommt, vielleicht ist das Geräusch Y oder vielleicht auch Blickkontakt Z. Man kann das auch so handhaben, dass man nur auf eine Sinnenwahrnehmung achtet, beispielsweise nur auf das Hören und dabei das Sehen völlig ausschaltet. (Ich war unlängst mit Schülern im Dialogmuseum in Frankfurt, wo man in völliger Dunkelheit durch Räume tastet. Das war Konzentration auf den Tastsinn.)

Ich machte eine zeitlang täglich zur gleichen Zeit eine Meditation auf dem Obermarkt hier in Gelnhausen. Bei schönem Wetter im Sitzen auf einer Bank am Brunnen – eine sehr gute Ausgangslage für die Betrachtung von sanna, von Sinnenwahrnehmung. Aber nicht ganz leicht, nur bei der Sinnenwahrnehmung zu bleiben und nicht den ganzen Rattenschwanz mitzunehmen, der zu papanca, zu geistigem Ausufern, führt.

Und das mit dem papanca ist noch die deutlichste Ablenkung. Noch wesentlich schwieriger ist es, nur zu empfinden ohne zu bewerten, also Sinnenwahrnehmung (phassa) vom Empfinden (vedana) zu trennen. Denn wenn mir bei der Meditation auf der Bank am Obermarkt zum Beispiel die Sonne auf die Haut scheint, so stellt sich im Herbst schnell die Empfindung "herrlich, wunderbar, angenehm" ein, im Hochsommer eher "heiß, unangenehm, gleisend hell". Das gilt sinngemäß für alle Sinnenwahrnehmungen. Da der Prozess der Wahrnehmung auch immer mit einem vedana verbunden ist, ist die Trennung von Kontakt (das Gesehene, Gehörte, Empfundene...) und der Bewertung (angenehm, neutral, unangenehm) also gar nicht so einfach. Oder genauer gesagt: letztendlich nicht möglich. Was wie aber machen können, ist den Fokus unsere Betrachtung in der sanna-Meditation auf die reine Wahrnehmung zu richten. In der Breite unseres Gewahrseins taucht zwar auch die Bewertung (vedana) auf, wir richten unser Augenmerk aber nicht darauf, sondern fokusieren nur das Gesehene (Gehörte...).

Kommen wir zur zweiten Meditation oder zur Phase 2. Meist kommt unmittelbar im Zusammenhang mit der Sinnenwahrnehmung eine Empfindung auf, z. B. wir sehen ein kleines Kätzchen – da kommt die Empfindung: wie süß – oder wir erblicken Erbrochenes auf dem Bürgersteig – Empfindung: eklig. Die vedana kann man einteilen in positiv – negativ – indifferent, also in drei Merkmalsausprägungen.

Ich will das auf Aufkommen von vedana auf meine Meditation AUF dem Obermarkt anwenden, ich sitze also wie zuvor auf der Bank und höre die Stimmen der Personen, die außer mir auf dem Obermarkt sind. Manche klingen freundlich, liebevoll, also stelle ich fest: da ist ein angenehmes sinnengebundenes Gefühl. Bei dieser Betrachtung liegt also der Fokus nicht auf der Sinnenwahrnemung, sondern auf dem dadurch aufsteigenden vedana

Manche Stimmen klingen aggressiv oder beleidigt, also stelle ich fest: da ist ein unangenehmes sinnen-gebundenes Gefühl. Bei manchen Stimmen stelle ich einfach nur fest, dass sie da sind, ohne dass ich dies als negativ oder positiv empfinde, also stelle ich fest: dies ist ein sinnengebundenes indifferentes Gefühl. In dem Moment, in dem ich das aufschrieb, beginnt die Glocke der Marienkirche zu läuten. Dies empfinde ich als angenehmes sinnengebundenes Gefühl, andere kämen möglicherweise zu anderen Bewertungen.

Manchmal bemerke ich ohne einen äußeren Stimulus auch einfach eine Traurigkeit oder eine Einsamkeit in mir, dann stelle ich fest: da ist ein sinnenfreies unangenehmes Gefühl in mir. Auf diese Art kann man die Gefühle, Empfindungen oder Bewertungen offensichtlich in sechs Kategorien einteilen: in positiv, negativ und indifferent und jeweils noch in der Unterscheidung, ob dieses Gefühl sinnengebunden oder sinnenfrei sei. Genau das lehrt der Buddha in seiner vielleicht bekanntesten Lehrrede, den „Vier Grundlagen der Achtsamkeit“ im zweiten Abschnitt: Achtsamkeit auf die vedana, die Gefühlsbewertungen.

Und jetzt komme ich noch auf das letzte angekündigte khandha zu sprechen, auf sankhara, Willensregungen. Auch hierfür kann man entweder eine eigene Meditation machen, oder es mit den anderen beiden in einer Meditation verbinden, indem man sich in Phase 3 den sankharas, den Willensregungen widmet, ihnen aber nicht – und das ist ganz entscheidend! – ihnen nicht nachkommt. In dem Moment, indem ich das aufschreibe, habe ich das Gefühl eines komischen Juckens im rechten Auge unmittelbar am Nasenansatz. Ich stelle also fest, da ist eine Wahrnehmung (jucken) und ein und ein vedana (unangenehm). Unmittelbar daraufhin kam eine Bewertung: will ich nicht.

Ich aber formuliere es wie der Buddha: da ist eine unangenehme sinnengebundene Empfindung. Der Willensimpuls der aufkommt, ist nun dort hinzufassen, darüber zu reiben und somit einen möglicherweise vorhandenen Störkörper zu beseitigen. Das geht normalerweise unbewusst vonstatten. Das machen wir aber in dieser Meditation genau nicht.

Möglicherweise wird unsere Aufmerksamkeit gleich von etwas anderem eingefangen. Vielleicht ist aber dieses Jucken am Auge so stark, dass es unsere Achtsamkeit bindet. Das ist eine gute Gelegenheit zum Üben: wie verändert sich dieser Schmerz, dieses dukkha, diese Empfindung im Zeitablauf: wird sie stärker, schwächt sie sich ab, wird sie irgendwann durch etwas anderes überlagert? Oder tritt vielleicht Ärger darüber auf, dass ich mich da nicht reiben soll? Wenn ja, dann ist zu der sinnen-gebundenen unangenehmen Empfindung noch eine sinnenfreie unangenehme Empfindung gekommen, nämlich der Ärger, auch dies gilt es zu beachten.

Daraus können wir eine Menge über uns lernen! Wäre es nicht besser, einfach den Ärger loszulassen und somit nur noch eine sinnengebundene unangenehme Empfindung zu haben statt zwei unangenehme Empfindungen, die sinnengebundene und dann noch den Ärger? Ja, klar, wäre es, aber bei dieser Gelegenheit haben wir die Meditation unterbrochen und sind ins Reflektieren gekommen.

Also zurück zur Achtsamkeit: was kommt als nächstes? Ach, jetzt juckt es am Bein! Unangenehme sinnengebundene Empfindung. Impuls, mich anders zu setzen oder zu kratzen. Ich komme dem nicht nach. - Scheiße, ich habe mein Auto nicht zur Inspektion angemeldet! Unangenehme sinnenfreie (wirklich?) Empfindung. Es kommt der Wunsch auf, mir das gleich in meinen Terminkalender einzutragen, damit ich es nicht wieder vergesse. Nein, Horst, jetzt ist Meditation, jetzt betrachtest du nur die sankhara, die Willensimpulse…

So geht also die Meditation bezüglich der drei khandhas bezüglich sanna (Wahrnehmung), bezüglich vedana (Gefühlsempfindungen) und bezüglich sankhara (Willensimpulsen) in drei Phasen.

Und das Schöne ist, wie ich oben erläuterte, man kann diese Meditationen im Freien machen. Damit wir uns richtig verstehen: das ist kein Ersatz für die tägliche Meditation auf dem Kissen, aber eine wunderbare Ergänzung. Daher unter anderem machte ich für eine lange Zeit Jahr meine Meditationen auf dem Obermarkt. Und das sind ganz oft Betrachtungen dieser drei khandhas, also von dreien der fünf Gruppen, deren Konglomerat wir irrigerweise für unser „Ich“ halten.

Eine Alternative zu dieser Meditation auf dem Obermarkt wäre es auch, einen Spaziergang zu unternehmen und dabei diese Betrachtungen anzustellen. So wird aus dem Spaziergang eine Gehmeditation. Ich habe das sehr oft auf meinen Pilgerwanderungen praktiziert.


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