Abschnitt ErDa-7 - Die volle Herzlichkeit: .

VII. 6. Dem Schatten begegnen -
oder: die Saat geht auf .

letzte Änderungen am 6. Januar 2018
Der Begriff Schatten wurde von Carl Gustav Jung in die Diskussion eingeführt. Der Schatten, das ist unsere andere Seite, unser dunkler Bruder, unser Mr. Hyde. Im Leben eines Menschen macht sich der Schatten in Krankheiten, emotionalem Aufruhr, Erinnerungen und Träumen bemerkbar, aber auch dadurch, wie wir reagieren.

Als junger Mensch haben wir unser Ego ausgebildet und in Abgrenzung zum Ander (den anderen Menschen und Dingen, der Um-Welt) definiert. Einige Teile ließen sich jedoch nicht wirklich dem Ander zuordnen, weil sie ganz klar von dem, was wir Ich nannten, nicht zu trennen sind, z. B. bestimmte uns eigene Eigenschaften oder karmische Elemente aus früheren Existenzen aber auch entwicklungsgeschichtlich bedingte Wünsche, Sorgen, Ängste. Da wir diese weder herausdefinieren noch akzeptieren konnten, haben wir sie verdrängt – dies kann auch schon in einer früheren Existenz geschehen sein. Diese verdrängten Teile unserer Persönlichkeiten existieren jedoch weiter in dem, was wir Schatten nennen können.

Im klassischen Buddhismus wird das allerdings nicht als Schatten bezeichnet, sondern als bijas (Samen), die in früheren Existenzen gesät wurden und bislang noch nicht aufgegangen sind. Übrigens gibt es in dieser Betrachtung auch positive bijas, also karmische Verdienste, die gespeichert sind.

Wir können diese bijas – oder auch Schattenelemente – in zwei Gruppen unterteilen, in schlafende bijas und in reifenden bijas. Die schlafenden bijas sind die Aspekte, die derzeit nicht darauf drängen, in die Bewusstheit aufzusteigen. Ihre karmische Reifung steht erst in vielen Jahren - oder Leben - an.

Anderseits gibt es da die reifenden bijas. Das sind Dinge, die bereits zur Oberfläche drängen, sich uns aber vorerst noch nicht offenbaren. Die Vorwehen dieser Geburt bekommen wir in Ahnungen, Erwartungen, Furcht oder Träumen mit. Es gibt aber einen Widerstand in uns gegen diese Bewusstwerdung, dieser äußert sich in körperlicher Spannung oder Unwohlsein. Häufig ist es dieses Drängen von bijas nach oben, was Menschen zur Meditation bringt. Ein Grund, dass bijas noch nicht zur Reifung gelangen, liegt auch darin begründet, dass wir Dinge aufgrund unserer kulturellen Prägung nicht sehen können. Zu diesen kulturellen Prägungen gehört unter anderem die Ich-Illusion und die Annahme, Zeit und Raum seien real.

Wenn wir die körperbetonte, erdgestützte Meditation lang und tief praktizieren, dann werden wir früher oder später mit Aspekten unseres Schattens konfrontiert. Dann erkennen wir, dass wir eine soziale Maske vor uns hertragen, ein positives Selbstbild, das nicht unserer realen Person entspricht. (Interessanterweise ist unser Wort Person aus der Antike, es entstammt dem antiken griechischen Theater und steht für die Maske, welche die Darsteller vor sich hertrugen und die Rolle, diese spielten, darstellte. Der Schauspieler sprach also gewissermaßen durch die Maske, daher der Name von lateinisch per-sonare = hindurch-tönen.)

In dieser Phase der Demaskierung, in dem wir uns selbst gegenüber unseres sozialen Selbstbildes verlustig gehen, wird unser innerer Dr. Jeckyll infrage gestellt und der Schatten des Mr. Hyde tritt schemenhaft hervor.


Gehen wir noch weiter, so wird dieser Mr. Hyde aus seinem Schatten heraustreten, wir erkennen dann Aspekte, die noch beunruhigender sind, sie stehen nämlich dem entgegen, was wir selbst für akzeptabel halten. Hierzu gehören beispielsweise unterschwellige Gewaltfantasien. Wir begegnen unserem Mr. Hyde. Dies ist der Grund, warum ich davor warne, dass Personen, die nicht psychisch gesund sind, diese Meditationen üben. Psychisch gesunde Meditierende jedoch können dieser Realität durchaus ins Auge sehen, außerdem wird den negativen Tendenzen in uns dadurch vorgebeugt, dass wir von Anbeginn des ErDa-Projektes an die metta bhavana, die Meditation des Herzens hin zu liebender Güte für alle üben.

Gemeinhin sehen wir in der Begegnung mit anderen eine Bedrohung oder wenigstens eine Verunsicherung. Um diese abzubauen, haben wir die Phasen der neutralen Person, der schwierigen Person und die letzte Phase mit allen Wesen in der Meditation der metta bhavana. Hierzu dienen aber auch Achtsamkeitsmeditationen, die uns helfen, dass in Beziehungen zu anderen gar nicht erst falsche Erwartungen und Projektionen auftauchen, wobei wir übrigens eine Menge über uns und unsere Verblendung (Projektionen) lernen können.

Besonders interessant ist es, dass wir gewöhnlich eine starke Aversion gegenüber Personen haben, die Aspekte unseres Schattens sind. Dadurch haben wir die Gelegenheit Aspekte unseres Selbst nicht nur zu erkennen, sondern auch zu integrieren und uns damit nutzbar zu machen. Außerdem ist dadurch die andere Person, die offensichtlich einen Teil unseres Selbst verkörpert, nicht mehr der oder die negative Andere, der Feind, sondern kommt uns näher, wird von uns eher verstanden, wird weniger als Ander empfunden, und wir haben damit die Chance einmal mehr am Abbau der Mauer zwischen Ich und Ander zu arbeiten.

Weiterhin tragen wir, wie rudimentär auch immer, Erfahrungen mit anderen Dimensionen der Wirklichkeit in uns, mit dem Heiligen, mit Magie, mit Synchronizität. Begegnungen mit Tieren, die mehr sind als Tiere und mit Menschen, die mehr sind als Menschen, gehören hierzu.

Als Kind haben wir Dinge gefühlt, das Raunen einer mysteriösen Wirklichkeit hinter der vordergründigen Wirklichkeit, eine Dimension, die uns in unserer materialistisch-wissenschaftlichen Welt verloren gegangen ist. Das ist in erdverbundenen Religionen anders. Wenn wir die Welt auf eine tote Weise sehen, dann haben wir sie in gewisser Weise denaturiert - aber in Wirklichkeit ist natürlich nicht die Welt denaturiert, vielmehr haben wir uns selbst denaturiert, verrobotert.

Die materialistich-wissenschaftliche Betrachtungsweise ist eine unvollständige, denn sie klammert alles aus, was sie nicht versteht, nicht definieren, nicht messen kann. Dadurch werden wesentliche Informationen ausgeschlossen. In den letzten zwei Jahrhunderten hat die technisch-wissenschaftliche Kultur eine Welt geschaffen, die keinen inneren Sinn mehr besitzt, eine Sinn-lose Welt. Wir vertrauen nicht mehr unseren Empfindungen, sondern der von den Medien und der Werbebranche vermittelten „Kultur“. In diesem Sinne ist unsere Sozialisation und damit auch die Schule in beträchtlichem Maße eine Volksverdummungsanstalt.

Mit der körperbetonten, erdgestützten Meditation haben wir begonnen, unseren Körper besser kennen zu lernen, und damit angefangen, einer größeren Tiefe Gewahr zu werden. In der metta bhavana und in Reflexionen über die khandhas und die Elemente haben wir andere Menschen nicht mehr als ANDERE, sondern als mir ähnlich, wenn auch als anders beeinflusste Subjekte erfahren.

Der Tiefe dieser ersten Phase und der Öffnung für das Andere der zweiten Phase schließt sich jetzt eine Erfahrung unendlicher Weite an, der wir in einzelnen Bereichen unseres Körpers schon schemenhaft gewahr werden konnten. Dieser Raum gewinnt nun kosmische Dimensionen. Dem haben wir uns bereits mit dem Sitzen wie ein Berg, der Verwurzelung und der Aufnahme der prana, des Lebenshauchs als „Liebe der Erde“ angenähert.

Wir haben durch die Erde, unsere Mutter, Wärme, Tiefe und Gleichmut kennen gelernt. Das Erfahren de Erde als Großer Mutter hat uns geöffnet für die Mutter unser Mutter, diesen Kosmos, und es wird uns auch öffnen für die archetypischen Gestalten, denen wir am Ende des ErDa-Projektes begegnen werden.
 

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