Abschnitt ErDa-7 - Die volle Herzlichkeit:.
VII. 1. Die Befreiung des Herzens .
letzte Änderungen am 6. Januar 2018
Die Ausbildung unseres Ego ist der Versuch einen Platz in der Welt einzunehmen und ihn als „unseren Platz“ zu verteidigen. Dieses Ich-Konzept hat einen Subjekt-Anteil, das ist das, was ich zu sein glaube, und einen Objekt-Anteil, nämlich alles, wovon ich mich abzugrenzen versuche. Letzteres sind "die anderen" und die "Um-Welt".
 
Das Ich definiert sich also in Abgrenzung zum Rest der Welt. Dieses Ego bauen wir bereits als kleines Kind auf. Wir erfahren, was unserem Willen direkt gehorcht, z. B. die rechte Hand, und was ihm nicht gehorcht, bzw. sich ihm in den Weg stellt, z. B. die Stäbe unseres Kinderbettchens, gegen die die rechte Hand stößt. Diese primäre Erfahrung wird anschließend noch durch sekundäre, durch sozialisatorische, bestätigt: auch unsere Mutter denkt in Kategorien von Ich und Ander und bestätigt uns damit in unserem Ichglauben. Und auch unsere anderen Kommunikationspartner, die FreundInnen, die LehrerInnen und die ganze Gesellschaft unterstützen diese Fehlinterpretation. Unsere ganze Gesellschaft ist darauf aufgebaut. Mit dem ICH wurde auch gleich das MEIN mitgeschaffen: meine rechte Hand, mein Kinderbettchen, meine Mama, mein Haus, mein Bankkonto.

Als Kind bauen wir unser Ego auf. Später erfahren wir dieses Ego - allerdings ohne es gänzlich in Frage zu stellen - als zu eng, diese Erkenntnis wird als leidvoll erfahren. Zur wirklichen Reifung gehört, das Ego, das in unserer Kindheit ein hilfreiches Konzept war, loszulassen. Aber erst wenn wir es dereinst völlig losgelassen haben, wenn wir die in unserem Bewusstsein künstlich errichteten Mauern eingerissen haben, ist unser kleines Bewusstsein nicht mehr von dem großen, vom alaya-vinnana, getrennt. Diesen Zustand bezeichnet man als bodhi, als Erwachen. Dann haben wir unsere Buddha-Natur, die immer schon in uns vorhanden war, aus ihrem Kerker namens Ego befreit, in dem sie aufgrund unserer karmischen, entwicklungsgeschichtlichen und sozialisatorischen Konditionierung gefangen war.

Dabei gibt es verschiedene Widerstände zu überwinden. So haben wir uns ein Selbstbild geschaffen, das wir anderen vermitteln wollen und an das wir teilweise sogar selbst glauben. Dieses Selbstbild müssen wir zertrümmern!

Außerdem haben wir uns im Laufe des Lebens über verschiedene Gruppen definiert, ich zum Beispiel halte mich für (a) einen Mann, (b) einen Deutschen, (c) einen Akademiker, (d) einen Buddhisten, (e) einen Handelslehrer und, und, und…

Außerdem haben wir in jeder unserer sozialen Gruppen eine Identität aufgebaut, die der Abgrenzung dient. Und was die Sache noch erschwert: auch wenn ich beispielsweise meine Identität als Handelslehrer zertrümmere, muss ich doch morgen in der Schule wieder diese Rolle spielen - es sei denn, dass ich mich so weit aus dem üblichen Leben zurückziehe, wie das der Buddha tat, der nur mit einer Bettelschale in der Hand durchs Land ging, der sich aber nicht als Bettler definiert hätte, sondern eben als Buddha, als einer, der keine dieser Ego-Rollen mehr in sich trägt. Befreiung ist eben auch Befreiung von Rollenzuweisungen, unabhängig davon, ob sie uns zugewiesen wurden (wie dem Buddha die Kastenzugehörigkeit und mir die Nationalität) oder ob wir sie uns selbst zugewiesen hatten. So hatte sich der Buddha einmal die Rolle eines Asketen zugewiesen und ich mir die eines Sozialisten – und später eines Buddhisten.

Was hindert uns eigentlich daran, diese Reise zu unserem Kern, zur Buddha-Natur, zur wahren Natur unseres Herzens anzutreten? Nun, wir geben uns der Illusion hin, die gegenwärtige, als suboptimal erfahrene Lebenssituation sei von vorübergehender Natur und verginge, wenn wir unsere egoistischen Ziele erreicht haben. Das nennt der Buddha Verblendung.

Wenn wir beginnen zu erkennen, dass all dieses egoistische Streben in eine Sackgasse führt, kommen wir in eine Krise. Eine Krise kann dazu führen, dass wir unsere Egostrategie modifizieren und so zeigen, dass wir nichts Wesentliches begriffen haben. Eine als existentiell erfahrene Krise kann uns aber auch in die Lage versetzen, dass wir unser Leben neu ausrichten und den Pfad zu unserer Buddha-Natur, unserem Kern, unserem wahren Herzen, zu beschreiten beginnen

Die Schwierigkeit für die meisten Menschen, diesen Pfad zu beschreiten, liegt darin, dass sie aufgrund ihrer Konditionierung ein Leben jenseits des Ego – und damit auch jenseits des Todes in dieser Existenz – nicht als Option erkennen können. Der Buddha beschreibt seinen Pfad daher auch als einen, der zur Todlosigkeit führt.

Haben wir jedoch die Vision von Buddha-Natur, haben wir sraddha (Vertrauen, dass es diesen Pfad gibt und dass er gangbar ist), dann erkennen wir die Einladung des Pfades. Das Spannungsfeld aus dukkha (Erkenntnis, dass alles Mondäne suboptimal ist) und sraddha ermöglicht es, den spirituellen Pfad zu beschreiten, den der Buddha aufgezeigt hat.

Und das nenne ich: Befreiung des Herzens.


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