Abschnitt ErDa-6 - Das Bauchgefühl als Partner:
VI. 7. Freude und Begeisterung stimulieren .
zuletzt geringfügig aktualisiert am 6. Januar 2018
Es gibt eine Anzahl von Meditationsvertiefungen, die unser Fernziel sein können – je nach Einteilung spricht man von vier bis zehn Meditationsvertiefungen, die aufeinander aufbauen. Wir brauchen uns die keineswegs alle zu betrachten, manche sind derart weit von uns entfernt, dass wir sie mit nahezu absoluter Sicherheit in diesem Leben nicht erreichen werden. Man muss diese Vertiefungen auch nicht einmal alle erreichen, um Erleuchtung zu erlangen.

Aber die erste dieser Vertiefungsstufen sollten wir uns ansehen, um gewissermaßen eine Zielrichtung zu haben, worauf wir in der Meditation hinarbeiten wollen. Wir werden uns also heute mit dem Fernziel, mit der ersten meditativen Vertiefung, mit dem sog. 1. Dhyana beschäftigen.

In diesem 1. Dhyana sind fünf Faktoren voll entwickelt und über eine ganze Zeit stabil anwesend. Außerdem sind alle Meditationshindernisse hier überwunden. Was sind das für fünf Faktoren, die im 1. Dhyana stabil anwesend sind? Es sind

• Vitakka (aufnehmende meditative Konzentration)
• Vicara (anhaltende meditative Konzentration)
• Citt´ekagatta (einspitzige Ausrichtung des Geistes)
• Piti (Verzückung) und
• Sukha (Glück)
Unter aufnehmender Konzentration versteht man, dass wir den Geist auf das Meditationsobjekt ausrichten. Das wäre in der zweiten Stufe der metta bhavana also z. B. dadurch erreicht, dass wir vor unserem geistigen Auge das Bild des guten Freundes oder der guten Freundin entstehen lassen. Unter anhaltender Konzentration versteht man, dass wir den Geist durch geeignete Mittel weiter auf den guten Freund ausgerichtet halten und dabei das Gefühl von metta beibehalten bzw. verstärken. Unter Einspitzigkeit des Geistes versteht man, dass das Meditationsobjekt, in diesem Fall also Metta zum Freund oder der Freundin, ohne jedes andere Gefühl vorhanden ist, also sowohl ohne einen fernen Feind - ein solcher wäre z. B. das Gefühl von Neid oder Eifersucht – als auch ohne einen nahen Feind. Nahe Feinde zu metta sind z. B. Gefühle von sexueller Zuneigung oder Beschützerinstinkt, daher wird empfohlen, Personen des gleichen Geschlechtes und etwa des gleichen Alters, zu nehmen, also niemandem, bei dem psychologisch gesehen das „Kindchen-Schema“ greift.

Heute möchte ich jedoch über die anderen beiden Faktoren, über piti und sukha, über Verzückung und Glück sprechen. Im Titel dieses Vortrages habe ich sie „Freude und Begeisterung“ genannt.

Der Unterschied zwischen beiden lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn wir an einem heißen Tag auf einer anstrengenden Bergwanderung ziemlich ermüdet, durstig und hungrig sind und um eine Wegbiegung kommen, bei der wir nunmehr eine bewirtschaftete Almhütte sehen, dann entsteht piti. Wenn wir eine halbe Stunde später noch immer dort bei einer Brotzeit sitzen, unsere Wanderschuhe ausgezogen haben und soeben die zweite Halbe Weißbier (natürlich alkoholfreies) serviert wird, dann ist das sukha.

In diesem Zusammenhang braucht uns der Unterschied zwischen piti und sukha aber gar nicht näher zu beschäftigen. Beides ist auf jeden Fall sehr angenehm. Und was kann besser sein, als wenn unsere Meditation angenehm ist? Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, wenn unsere Meditationen nicht angenehm sind, dann kann sehr schnell unser Elan zu meditieren ermatten. Wenn wir also eine dauerhafte regelmäßige Meditationspraxis aufbauen wollen, dann ist es nicht nur sinnvoll, diese beiden Faktoren zu kultivieren, um auf eine meditative Vertiefung hinzuarbeiten, es ist vielmehr unerlässlich, dass wir diese Faktoren kultivieren, um uns bei der Stange zu halten, um unsere Begeisterung für Meditation zu entwickeln, zu kultivieren, uns zu motivieren. Abgesehen davon ist es natürlich schön zu meditieren und Spaß dabei zu haben.

Mit anderen Worten, es macht auf jeden Fall Sinn, piti und sukha zu entwickeln, Freude und Begeisterung zu stimulieren.

Manchmal hört man dann aber von Meditierenden, es würden sich die beiden freudvollen Meditationsfaktoren piti (Begeisterung) und sukkha (Glückseligkeit) nicht einstellen. Und wenn man dann fragt, was denn die Person getan hat, um diese Faktoren zu erzeugen, erntet man verständnislose Blicke oder bekommt die magere Auskunft: „Na: meditiert“.

Dies ist eine merkwürdige Aussage. Denn da scheint der Fragesteller die wichtigste Erkenntnis des Buddha, die wichtigste Erkenntnis des Erhabenen, nicht wirklich begriffen zu haben. Diese wichtigste Erkenntnis nennt man paticca-samuppada, Entstehen in Abhängigkeit von Bedingungen. Und das bedeutet natürlich: wenn du willst, dass Freude und Begeisterung entstehen, musst du die Bedingungen dafür schaffen, dass Freude und Begeisterung entstehen.

Wie geht das? Nun es gibt allgemeine und spezifische Methoden, Gefühle, Emotionen, zu stimulieren. Sehen wir uns zunächst die allgemeine Methode an. Jedes Ding hat einen adinava- und einen assada-Aspekt. Assada ist die reizvolle, die attraktive Qualität, die von etwas ausgeht, den Zauber, den etwas ausmacht. Adinava hingegen ist der negative Aspekt eines Phänomens, der niedrige, unheilsame, widerwärtige Aspekt von etwas.

Ich will das einmal am Beispiel Militärdienst erläutern. Man kann den Militärdienst als etwas ansehen, wo sadistische Vorgesetzte Rekruten demütigen und schleifen, wo jungen Menschen die Hemmung zu töten aberzogen werden soll; etwas, was mehr oder weniger zwangsläufig in Massakern, in Verrohung, in Unmenschlichkeit, in Erniedrigung, in Leid mündet. Ich habe jetzt den adinava-Aspekt davon erläutert.

Wenn eine Armee einen Werbefilm für den Militärdienst dreht, werden völlig andere Aspekte in den Vordergrund gestellt. Dort sieht man kräftige junge Männer und Frauen, die maßvoll und entschlossen bereit sind, unter vollem Einsatz selbst ihres eigenen Lebens, die Sicherheit der Menschen in einem Land zu verteidigen. Kameradschaft, Lagerfeuerromantik, technisches Können und Verantwortungsbewusstein werden hier im Mittelpunkt stehen und Kriegsvorbereitung bekommt den Namen Friedenssicherung.

Und wenn wir bereit sind die Sache ganz unverblendet zu betrachten, werden wir feststellen, dass beide Betrachtungsweisen Facetten des Phänomens „Militärdienst“ darstellen. Wer einen Werbefilm für - sagen wir - die Bundeswehr drehen will, der wird den assada-Aspekt dieser Sache in den Vordergrund rücken. Wer einen Anti-Kriegs-Film drehen will, der wird konsequenterweise den adinava-Aspekt des Militärdienstes in den Mittelpunkt stellen. Beides ist natürlich gewollt manipulativ.

Wenn wir uns also motivieren wollen, eine Sache zu betreiben, für die wir uns auf Grund rationaler Überlegung entschieden habe - und ich rede jetzt nicht vom Militärdienst, sondern von der Meditation - dann ist es gut, uns auch emotional so zu stimulieren, dass unser Gefühl, unsere Emotionalität, diese rationale Entscheidung unterstützt und nicht konterkariert.

Wenn ich mich also zur Meditation mit der Einstellung begebe, jetzt käme eine lästige Pflicht, in der ich einmal wieder mit Müdigkeit und Schlappheit zu kämpfen habe, in der mein Geist beständig abgelenkt umherschweift, in der mir die Knochen wehtun werden und in der ich meine Zeit vergeude, die ich so nötig für etwas anderes bräuchte, dann aktiviere ich den adinava-Aspekt und dann wird diese Meditation eine Quälerei werden.

Wenn ich mich aber auf meine Meditationsplatz begebe mit der Erinnerung an erfreuliche Meditationserlebnisse, mit freudiger Neugier, was diese Meditation denn heute für mich bereithalten wird, da ich mit frischen Anfängergeist gespannt hineingehen werde. Wenn ich mich freue, dass mein Geist endlich in Ruhe entspannen kann und nicht tausend andere Dinge tun muss. Wenn ich meine Meditationshaltung so aufbaue, dass ich weiß, so sitze ich gut, angenehm, ruhig. Wenn ich mein ganzes Meditationsumfeld, den Platz, an dem ich meditiere, hübsch ausgeschmückt habe, zum Beispiel mit einer Figur, die mich inspiriert, dazu eine hübsche Kerze oder ein angenehm duftendes Räucherstäbchen angezündet habe und meinen Schrein zuvor mit frischen Blumen geschmückt habe, dann bemühe ich mich um den assada-Aspekt. Also: schaffe die Bedingungen, dass deine Meditation von erfolgt gekrönt sein wird! Genau das heißt das Wort bhavana: Bedingungen schaffen, damit etwas entstehen kann. Also bezogen auf piti und sukha: schaffe die Bedingungen, dass Freude und Begeisterung entstehen können, oder um den Titel meines Vortrages zu verwenden: stimuliere Freude und Begeisterung.

Sehen wir uns das jetzt noch einmal spezifisch bezüglich unserer beiden Meditationstechniken an, zunächst hinsichtlich der metta bhavana. Entwickle in der ersten Phase metta für dich selbst. Die meisten Menschen mögen sich selbst. Alle Menschen mögen zumindest einige Aspekte ihres Selbst. Stelle diese Aspekte in den Vordergrund. Stelle dir eine Situation vor, in der du rundum glücklich und zufrieden bist. Um das zu erreichen, musst du vielleicht anfangs etwas experimentieren. Tue alles, um in diesem Glück zu schwelgen, um dich selbst anzunehmen, um dir selbst Gutes zu tun. Bei der zweiten Phase der metta bhavana genügt oft schon die Vorstellung des Bildes deines guten Freundes bzw. der guten Freundin, nimm dir jedoch auch hier die Freiheit, alles zu machen, was das Gefühl von metta bezüglich dieser Person verstärkt. Baue in den weiteren Phasen auf diesem bereits entwickelten Gefühl auf. Es kommt nicht darauf an, etwas über dieses Person zu denken, es kommt einzig und allein darauf an, die Emotion für metta für diese Wesen aufzubauen, diese Empfindung, dieses Gefühl zu stimulieren. Nutze deine Kreativität! Und alle Wesen sind dir da ähnlich, denn alle wollen frei von Leiden sein und nach Glück streben. Bei der metta bhavana ist es eigentlich selbstverständlich, dass wir uns emotional ausrichten sollen, denn genau das sagt ja der deutsche Terminus, den ich für metta bhavana verwende: Entfaltung positiver Emotion.

Doch wie soll die Stimulation von Freude und Begeisterung bei der Vergegenwärtigung des Atems gehen?

Nun auch der Atem hat seinen adinava- und seinen assada-Aspekt und damit kannst du arbeiten. Der Atem erscheint für die meisten von uns ziemlich unspektakulär – und ist doch so entscheidend. Wenn ich ganz am Anfang des Wirtschaftslehreunterrichtes in der Schule die menschlichen Bedürfnisse abfrage, dann werden von den Schülerinnen und Schüler regelmäßig fast alle wichtigen Bedürfnisse genannt, meist allen voran essen und trinken, dann Kleidung, manchmal Musik oder ein Auto, nach einiger Zeit werden auch Liebe, Zärtlichkeit und Sexualität genannt. Merkwürdigerweise wird fast immer das Atmen vergessen. Ich habe es mitunter so gemacht, dass ich eine Person direkt gefragt habe, was noch ganz, ganz wichtig sei. Häufig wurden dann die merkwürdigsten Dinge genannt. Wenn ich dann aber dem Schüler oder der Schülerin Mund und Nase zugehalten habe – was natürlich ebenso streng verboten wie auch sehr lehrreich ist – und gefragt habe, ob es nicht noch ein ziemlich wichtiges Bedürfnis gäbe, dann fielen diesen plötzlich das Atmen ein. Atmen ist uns so selbstverständlich, dass seine Wichtigkeit gerne vergessen wird.

Es ist natürlich unser wichtigstes Bedürfnis überhaupt, aber häufig werden wir dieser Kostbarkeit des unbeschwerten Atmens erst dann bewusst, wenn es gerade einmal nicht perfekt zugänglich ist, wenn wir erkältet sind zum Beispiel. Ich habe früher sehr stark an Heuschnupfen gelitten, der sich auch auf die Bronchien legte und zu asthmaartigen Erscheinungen führte, was mir die Kostbarkeit des Atmens deutlich gemacht hat, besonders dann, wenn ich wieder einmal nur im Sitzen einschlafen konnte, weil ich sonst keine Luft bekam. Oder zweitens: in der indischen Hauptstadt Delhi vermochte ich keine 15 Minuten außerhalb klimatisierter Räume zu sein, ohne dass ich starke Kopfschmerzen wegen der miserablen Luft in der Stadt bekam. Und drittens: ich kann mich noch deutlich erinnern, wie mein Vater im Stadium des fortgeschrittenen Kehlkopfkrebses kurz vor seinem Tod um Luft gerungen hat. Wenn wir uns also des adinava-Aspektes des Atmens bewusst sind, haben wir eigentlich eine gute Grundlage, den assada-Aspekt des Atmens zu genießen.

Diese herrliche nahezu völlig unbelastete Luft in Deutschland, dieses köstlichste und wichtigste aller Lebensmittel, das uns da in Hülle und Fülle von der Natur völlig kostenlos zur Verfügung gestellt wird und dessen fast grenzenlosen Reichtum wir hier und jetzt genießen dürfen. Die Tatsache, dass unser Atemwege frei sind, dass unser Körper wunderbarerweise völlig mühelos für uns durch die einfache Bewegung des Zwerchfelles dieses herrliche Lebenselixier pausenlos in uns hineinpumpt und die Tatsache, dass die Abgabe unserer Stoffwechselabfallprodukte Kohlendioxid so völlig problemlos und zudem noch kostenlos funktioniert und noch dazu viel hygienischer abläuft als die Ausscheidung unserer übrigen Stoffwechselprodukte.

Oh, herrlicher Atem, oh, unbeschwerte Lebensfreude am Nehmen und Geben von Luft! Danke, Natur, für diesen Reichtum! Möge ich meine Gesundheit erhalten, um diesen wunderbaren Prozess noch lange genussvoll beobachten zu können. Danke Pflanzen für dieses Geschenk des Sauerstoffes, danke Mitmenschen und Staat, dass die Luft noch nicht privatisiert ist, sondern uns allen in so vorzüglicher Qualität zur Verfügung steht. Danke Zwerchfell, danke Lunge, ich werde alles tun, um euch gesund zu erhalten, auf dass ich dieses Glückes noch lange teilhaftig werde, des gesegneten Atemprozesses, für dessen Funktionieren ich mich immer von Neuem dankbar begeistern kann!

Auf diese Art eben kann man Freude und Begeisterung für die Atembetrachtung, für die Beobachtung dieses wunderbar subtilen und ebenso bedeutungsvollen Aktes unserer Lebenserhaltung stimulieren.

Ich habe noch eine weitere Technik für mich entwickelt. Sie beruht auf der Tatsache, dass Reden stärker ist als Denken. Es gibt bekanntlich drei Ebenen des Handelns: Denken – Reden – körperliches Handeln. Wenn wir in der Meditation, so wie ich das oben beispielsweise für die metta bhavana und die Vergegenwärtigungen des Atems beschrieben habe, arbeiten, dann bemühen wir uns auf der Ebene des Denkens.

Wenn ich hingegen allein meditiere und dadurch niemanden stören kann, kann ich auch auf der Ebene der Sprache handeln. Ich kann dann zum Beispiel bei der Atembetrachtung mein Dank für diese wunderbare Luft, die es mir ermöglicht zu atmen in begeisterter sprachlicher Lobpreisung für die Pflanzen, die Bäume, die Ozeane, die Wälder und auch für den Staat, der für Luftreinhaltung sorgt, ausdrücken. Vielleicht habt ihr bei manchen meiner Audio-Meditationen diese merkwürdige Begeisterung hören können, die sich da aufgebaut hat. Daher meine Empfehlung: die Sprache nutzen!

Wenn ich auf Pilgerwanderung war und in Gegenden, wo mich niemand hört, dann nutze ich sogar aller drei Ebenen. Ich preise den Dreifachen Pfad aus Ethik – Meditation – Weisheit. Und ich weiß dabei genau, dass mein derzeitiges Handeln, mein Gehen eine Metapher für diesen Pfad ist. Das ist auch der Grund, warum ich nicht in irgendeine Richtung ging, sondern Richtung Bodh Gaya, dorthin, wo der Buddha seine Erleuchtung hatte. Ich gehe den Pfad Richtung Erleuchtung. Ich gehe ihn auf körperlicher Ebene, durch aktive Bewegung. Ich gehe ihn auf sprachlicher Ebene, durch laute begeisterte Lobpreisung des Pfades. Ich gehe ihn in Gedanken, bin mir immer bewusst: dies ist der Pfad zur Buddhaschaft, zu Vollkommenheit, zur Übermenschlichkeit.

Dies hilft mir. Ob das bei dir genau so ist, vermag ich nicht abzuschätzen, denn jeder Mensch funktioniert etwas anders, da jede/r sich ja unter etwas anderen Bedingungen entwickelt hat: Entstehen in Abhängigkeit. Da wir aber alle diese Sehnsucht nach Freude und Glückseligkeit haben, da wir alle auch begeisterungsfähig sind, solltest du vielleicht etwas experimentieren, um heraus zu finden, was für dich am besten funktioniert. 


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