Im
Buddhismus sprechen wir von sechs Sinnen. Neben den im Westen üblichen
Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken und Riechen zählt auch das Denken zu
den Sinnen. Schon bei der üblichen Darstellung des salayatana, des sog. Sechssinnengebiets, im bhava cakra, dem Rad des Lebens, fällt auf, dass das Denken ein etwas anderer Sinn ist. Das salayatana,
wird üblicherweise als ein Haus mit fünf Fenstern und einer Tür
dargestellt. Durch die Fenster kann Licht eindringen, durch die Tür
nicht sie ist verschlossen. Fünf der Sinne können also das Licht (etwas
von außen) aufnehmen, der sechste Sinn, das Denken, findet hinter einer
verschlossenen Tür statt. Das Haus ist ein Bild aus einer alten Zeit,
wohlweislich wurde dabei ein Symbol gewählt, von dem man annehmen
konnte, dass es das auch 2000 Jahre nach der ersten Entstehung des bhava cakra noch geben würde.
Wenn
ich das Sechssinnengebiet heute beschreibe, so nehme ich gern einen
anderen Gegenstand als Symbol, den Computer. Der Computer kann
unterschiedliche Eingabeeinheiten haben, Tastatur, Maus, Scanner,
USB-Anschluss, Mikrofon. Zu einem richtigen Computer wird er jedoch
erst durch die CPU, die Zentraleinheit, die Central Processing Unit.
Hier werden die Eingaben mithilfe einer Software verarbeitet. Die CPU
des Menschen ist das Denkorgan, hier werden die durch die
Eingabeinheiten erfassten Daten verarbeitet. Meist laufen auch im
Hintergrund des Computers noch irgendwelche anderen Programme. Genauso
ist es beim Denken des Menschen (und der meisten anderen Wirbeltiere).
Wenn
ein solches Wirbeltier, du zum Beispiel, jetzt meditieren möchte, um
beispielsweise metta zu kultivieren, dann entstehen zwei erwünschte
Arten des Denkens, der auftauchende Gedanke (vitakka), das ist zum Beispiel wenn du die Glocke für die zweite Phase der metta bhavana hörst und in dir dann der Gedanke aufsteigt:
ich könnte metta für meine Freundin Jutta entwickeln! Als nächstes
stellst du dir vielleicht vor, wie du Jutta, die Musicals mag, zum neu
in deiner Stadt angelaufenen Musical mitnimmst und dann entwickelst du
dieses Bild weiter. Dies nennt man diskursives oder entwickelndes
Denken (vicara). Vitakka und vicara gehören zu den fünf Faktoren, die im 1. dhyana,
in der ersten meditativen Vertiefung anwesend sein sind. Die
hinreichenden Bedingungen für solch eine meditative Vertiefung sind
aber erst erfüllt, wenn auch die anderen Vertiefungsfaktoren, nämlich
Verzückung (piti), Glückseligkeit (sukkha) und Einspitzigkeit des Geistes (citt´ekagatta) vorhabenden sind. Unter Einspitzigkeit versteht man, dass der Geist tatsächlich aufs Meditationsobjekt fokusiert ist.
Und
genau da liegt das Problem. Normalerweise wird nämlich der Fokus nicht
während der ganze Zeit deiner Meditation auf metta liegen, vermutlich
steigen in dir andere Gedanken auf. Vielleicht fällt dir ein, dass du
Jutta noch das Buch zurück geben musst, das sie dir geliehen hat. Dann
bemerkst du, dass dein linkes Knie weh tut. Oh Mist, du musst auch noch
die Steuererklärung machen. Wäre die Meditation nur endlich herum, ich
habe Hunger. Ob ich mir hinterher eine Pizza bestellen sollte? Beim
Tony? Oder lieber bei dem neuen Italiener, der so tolle pizza spinaci macht?
All das ist auch Denken, es ist aber alles andere als einspitzig auf metta für Jutta gerichtet, es ist ausuferndes Denken (papanca).
Der Normalzustand unseres Denkorgans ist es zu denken. Und wenn unserer
innerer Computer nicht voll ausgelastet ist - oder sich nicht voll
ausgelastet fühlt, dann bearbeitet er alles mögliche andere. Das meiste
davon liegt in der Zukunft oder in der Vergangenheit. (In unserem
obigen Beispiel alles außer dem schmerzenden Knie.)
Unser
Geist entwirft beständig Pläne für alle möglichen Zukünfte, von denen
fast alle niemals eintreten. Oder er entwickelt Wunsch- oder
Angstphantasien. Ganz oft arbeitet er auch alte Verletzungen auf, meist
nicht in hilfreicher Form. Wir erzählen uns zum Beispiel immer wieder
Dinge über die wir uns geärgert haben - mit dem Ergebnis, dass wir uns
erneut darüber ärgern. Das ist nicht heilsam.
Die
meiste Zeit erzählen wir uns irgendwelche Geschichten über unsere
Vergangenheit, die wir uns zu 90% in der letzten Woche schon mal
erzählt haben und zu 99% im letzten Jahr. Der einzige Unterschied bei
der Meditation ist, dass uns dies hier (meist) auffällt. Wir werden
eines nicht hilfreichen Musters gewahr.
Wenn
du also wieder meditierst und feststellst, dass du irgendwo in der
Vergangenheit oder auch beim Planen für eine deiner vermutlich nie
eintretenden Zukünfte warst, dann lobe dich! Gratuliere dir dazu, dass
dir das bewusst geworden ist. Du hattest einen wirklich achtsamen
Moment in dieser Meditation. (Vermutlich hattest du deutlch mehr als
einen solchen achtsamen Moment.)
Der
erste Schritt zur Besserung ist Erkenntnis, dass etwas suboptimal
läuft. Und Ziel der Meditation ist nichts anderes als die
Transformation suboptimaler Geisteszustände in bessere. Allerdings ist
Erkenntnis nur der erste Schritt. Als nächstes musst du an diesem
Hindernis arbeiten. Es ist vermutlichlich das Meditationshindernis
Unruhe und Besorgtheit, vielleicht kommt auch Abneigung dazu - oder
Verlangen. Wie man an den Meditationshindernissen arbeitet, wurde in
diesem Kurs bereits erläutert, vielleicht solltest du dort noch einmal
nachlesen.
Papanca in Meditation zu entdecken ist ein erster Schritt. Papanca in Meditation zu bekämpfen ist wichtig. Allerdings ist papanca etwas, was nicht nur in der Meditation auftaucht. Es gibt eine Stelle, an der papanca
meiner Meinung nach angebracht ist: im Traum. In der Traumarbeit
bereinigt und bewältigt unser Geist Probleme, die in unserem
Speicherbewusstsein abgespeichert sind, und die in den Traumphasen aus
dem unbewussten Teil des Speicherbewusstseins in den halbbewussten
auftauchen.
Wir erzählen uns aber auch sonst - außerhalb des Bardos (Zwischenzustandes) der Meditation und des Bardos des Traumes, nämlich im Bardo
des Lebens - immer wieder die gleichen alten Geschichten. Und dies
dient dazu, uns unserer Identität zu versichern, uns mit Rollenmustern
zu identifizieren (der fleißige Arbeiter, das arme unschuldige Opfer,
der einfühlsame Liebhaber, die engagierte Kämpferin...). Mit anderen
Worten: hier erschaffen wir uns unsere Ich-Illusion. Wir identifizieren
uns als in verschiedener Art besonders, wir bauen die Mauer zwischen
Ich und Ander auf. Das ist eine Illussion, es gibt kein Ich und kein
Ander - es gibt nur einen umfassenden Gesamtprozess und viele
Teilprozesse, wobei die Teile ebensowenig fest sind, wie das Ich.
So
wie sich die sechs Elemente in mir jeden Tag verändern - da wird
Erdelement aufgenommen und ausgeschieden, Wasserelement aufgenommen und
ausgeschieden, Luftelement aufgenommen und ausgeschieden,
Hitzeelement aufgenommen und ausgeschieden, Geistelement
(Ideen) aufgenommen und losgelassen, Raumelement okkupiert und wieder
verlassen - in genau dem gleichen Maß verändert sich auch das Bündel
unterschiedlichster Teilprozesse, das du für ein Ich hältst.
Und
warum hältst du es für ein Ich? Weil papanca es in jedem Moment
versucht neu zu erschaffen, zu modifizieren, zu bestätigen. Denn wo
kann einzig und allein die Quelle aller Irrtümer sein? Na klar: im
Denken!
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