Abschnitt ErDa-9 des ErDa-Projektes:
IX. 1. Denken ist meist papanca (sankharas)
letzte Änderungen am 4. Januar 2018

Im Buddhismus sprechen wir von sechs Sinnen. Neben den im Westen üblichen Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken und Riechen zählt auch das Denken zu den Sinnen. Schon bei der üblichen Darstellung des salayatana, des sog. Sechssinnengebiets, im bhava cakra, dem Rad des Lebens, fällt auf, dass das Denken ein etwas anderer Sinn ist. Das salayatana, wird üblicherweise als ein Haus mit fünf Fenstern und einer Tür dargestellt. Durch die Fenster kann Licht eindringen, durch die Tür nicht sie ist verschlossen. Fünf der Sinne können also das Licht (etwas von außen) aufnehmen, der sechste Sinn, das Denken, findet hinter einer verschlossenen Tür statt. Das Haus ist ein Bild aus einer alten Zeit, wohlweislich wurde dabei ein Symbol gewählt, von dem man annehmen konnte, dass es das auch 2000 Jahre nach der ersten Entstehung des bhava cakra noch geben würde. 

Wenn ich das Sechssinnengebiet heute beschreibe, so nehme ich gern einen anderen Gegenstand als Symbol, den Computer. Der Computer kann unterschiedliche Eingabeeinheiten haben, Tastatur, Maus, Scanner, USB-Anschluss, Mikrofon. Zu einem richtigen Computer wird er jedoch erst durch die CPU, die Zentraleinheit, die Central Processing Unit. Hier werden die Eingaben mithilfe einer Software verarbeitet. Die CPU des Menschen ist das Denkorgan, hier werden die durch die Eingabeinheiten erfassten Daten verarbeitet. Meist laufen auch im Hintergrund des Computers noch irgendwelche anderen Programme. Genauso ist es beim Denken des Menschen (und der meisten anderen Wirbeltiere).

Wenn ein solches Wirbeltier, du zum Beispiel, jetzt meditieren möchte, um beispielsweise metta zu kultivieren, dann entstehen zwei erwünschte Arten des Denkens, der auftauchende Gedanke (vitakka), das ist zum Beispiel wenn du die Glocke für die zweite Phase der metta bhavana hörst und in dir dann der Gedanke aufsteigt: ich könnte metta für meine Freundin Jutta entwickeln! Als nächstes stellst du dir vielleicht vor, wie du Jutta, die Musicals mag, zum neu in deiner Stadt angelaufenen Musical mitnimmst und dann entwickelst du dieses Bild weiter. Dies nennt man diskursives oder entwickelndes Denken (vicara). Vitakka und vicara gehören zu den fünf Faktoren, die im 1. dhyana, in der ersten meditativen Vertiefung anwesend sein sind. Die hinreichenden Bedingungen für solch eine meditative Vertiefung sind aber erst erfüllt, wenn auch die anderen Vertiefungsfaktoren, nämlich Verzückung (piti), Glückseligkeit (sukkha) und Einspitzigkeit des Geistes (citt´ekagatta) vorhabenden sind. Unter Einspitzigkeit versteht man, dass der Geist tatsächlich aufs Meditationsobjekt fokusiert ist.

Und genau da liegt das Problem. Normalerweise wird nämlich der Fokus nicht während der ganze Zeit deiner Meditation auf metta liegen, vermutlich steigen in dir andere Gedanken auf. Vielleicht fällt dir ein, dass du Jutta noch das Buch zurück geben musst, das sie dir geliehen hat. Dann bemerkst du, dass dein linkes Knie weh tut. Oh Mist, du musst auch noch die Steuererklärung machen. Wäre die Meditation nur endlich herum, ich habe Hunger. Ob ich mir hinterher eine Pizza bestellen sollte? Beim Tony? Oder lieber bei dem neuen Italiener, der so tolle pizza spinaci macht?

All das ist auch Denken, es ist aber alles andere als einspitzig auf metta für Jutta gerichtet, es ist ausuferndes Denken (papanca). Der Normalzustand unseres Denkorgans ist es zu denken. Und wenn unserer innerer Computer nicht voll ausgelastet ist - oder sich nicht voll ausgelastet fühlt, dann bearbeitet er alles mögliche andere. Das meiste davon liegt in der Zukunft oder in der Vergangenheit. (In unserem obigen Beispiel alles außer dem schmerzenden Knie.)

Unser Geist entwirft beständig Pläne für alle möglichen Zukünfte, von denen fast alle niemals eintreten. Oder er entwickelt Wunsch- oder Angstphantasien. Ganz oft arbeitet er auch alte Verletzungen auf, meist nicht in hilfreicher Form. Wir erzählen uns zum Beispiel immer wieder Dinge über die wir uns geärgert haben - mit dem Ergebnis, dass wir uns erneut darüber ärgern. Das ist nicht heilsam.

Die meiste Zeit erzählen wir uns irgendwelche Geschichten über unsere Vergangenheit, die wir uns zu 90% in der letzten Woche schon mal erzählt haben und zu 99% im letzten Jahr. Der einzige Unterschied bei der Meditation ist, dass uns dies hier (meist) auffällt. Wir werden eines nicht hilfreichen Musters gewahr.

Wenn du also wieder meditierst und feststellst, dass du irgendwo in der Vergangenheit oder auch beim Planen für eine deiner vermutlich nie eintretenden Zukünfte warst, dann lobe dich! Gratuliere dir dazu, dass dir das bewusst geworden ist. Du hattest einen wirklich achtsamen Moment in dieser Meditation. (Vermutlich hattest du deutlch mehr als einen solchen achtsamen Moment.)

Der erste Schritt zur Besserung ist Erkenntnis, dass etwas suboptimal läuft. Und Ziel der Meditation ist nichts anderes als die Transformation suboptimaler Geisteszustände in bessere. Allerdings ist Erkenntnis nur der erste Schritt. Als nächstes musst du an diesem Hindernis arbeiten. Es ist vermutlichlich das Meditationshindernis Unruhe und Besorgtheit, vielleicht kommt auch Abneigung dazu - oder Verlangen. Wie man an den Meditationshindernissen arbeitet, wurde in diesem Kurs bereits erläutert, vielleicht solltest du dort noch einmal nachlesen.

Papanca in Meditation zu entdecken ist ein erster Schritt. Papanca in Meditation zu bekämpfen ist wichtig. Allerdings ist papanca etwas, was nicht nur in der Meditation auftaucht. Es gibt eine Stelle, an der papanca meiner Meinung nach angebracht ist: im Traum. In der Traumarbeit bereinigt und bewältigt unser Geist Probleme, die in unserem Speicherbewusstsein abgespeichert sind, und die in den Traumphasen aus dem unbewussten Teil des Speicherbewusstseins in den halbbewussten auftauchen.

Wir erzählen uns aber auch sonst - außerhalb des Bardos (Zwischenzustandes) der Meditation und des Bardos des Traumes, nämlich im Bardo des Lebens - immer wieder die gleichen alten Geschichten. Und dies dient dazu, uns unserer Identität zu versichern, uns mit Rollenmustern zu identifizieren (der fleißige Arbeiter, das arme unschuldige Opfer, der einfühlsame Liebhaber, die engagierte Kämpferin...). Mit anderen Worten: hier erschaffen wir uns unsere Ich-Illusion. Wir identifizieren uns als in verschiedener Art besonders, wir bauen die Mauer zwischen Ich und Ander auf. Das ist eine Illussion, es gibt kein Ich und kein Ander -  es gibt nur einen umfassenden Gesamtprozess und viele Teilprozesse, wobei die Teile ebensowenig fest sind, wie das Ich.

So wie sich die sechs Elemente in mir jeden Tag verändern -  da wird Erdelement aufgenommen und ausgeschieden, Wasserelement aufgenommen und ausgeschieden, Luftelement aufgenommen und ausgeschieden, Hitzeelement  aufgenommen und ausgeschieden,  Geistelement (Ideen) aufgenommen und losgelassen, Raumelement okkupiert und wieder verlassen - in genau dem gleichen Maß verändert sich auch das Bündel unterschiedlichster Teilprozesse, das du für ein Ich hältst.

Und warum hältst du es für ein Ich? Weil papanca es in jedem Moment versucht neu zu erschaffen, zu modifizieren, zu bestätigen. Denn wo kann einzig und allein die Quelle aller Irrtümer sein? Na klar: im Denken!

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