Abschnitt ErDa-6 - Das Bauchgefühl als Partner:
VI. 3. Wahrnehmung
u. a. von Gefühlen und Emotionen  .
letzte Änderungen am 6. Januar 2018
Wir nehmen Emotionen wahr, daher kann man die Emotionen nicht von der Wahrnehmung trennen. Wie sieht aber die buddhistische Analyse der Wahrnehmungssituation aus? Ich orientiere mich in diesem Abschnitt an Dhammlokas ausgezeichnetem (aber nicht einfach zu lesendem) Buch „Säe eine Absicht, ernte ein Leben“.
 
Heute geht man normalerweise davon aus, dass jede Erfahrung eine qualitative Einheit bildet. Demgegenüber gewinnt die buddhistische Zerlegung des Erlebnisganzen in einzelne Elemente oder Funktionen ihren Sinn aus der Tatsache karmisch bedingten Leidens und aus der Möglichkeit, dieses Leiden durch schöpferisches Gewahrsein und Handeln zu beenden. Daher hebt sie einzelne Funktionen des Bewusstseins hervor, als ob sie getrennt seien, obwohl die allgegenwärtigen Funktionen oder Faktoren des Bewusstseins durch Zusammenentstehungs- und Wechselseitigkeitsbedingungen ein untrennbares Ganzes bilden. Würde man auch nur eine der Funktionen aus dem Zusammenhang mit den anderen herausnehmen, dann würden sie alle verschwinden.

Im reflexiven Gewahrsein erleben wir uns selbst als willentliche Urheber unseres Handelns und daher als relativ frei, unser Leben zu steuern. Vorgänge wie Sinnesempfinden, Fühlen, Instinktverhalten, Lernen durch Konditionierung und Imitation lassen sich auf der Stufe des mano-niyama (entspricht der animalischen Evolutionsstufe) beschreiben, soweit sie ohne reflexives oder personales Bewusstsein auskommen. Die Entstehung des letzteren markiert den Übergang zum kamma-niyama (menschliche Evolutionsstufe).

Modell der allgegenwärtigen Bewusstseinsfaktoren als pdf öffnen

Wenn wir bedenken, dass Interaktion mit Umwelt, also In-Kontakt-Sein ein Wesensmerkmal des Lebens ist, müssten wir eigentlich phassa und cetana als erste Funktionen erwarten. Die Tatsache, dass das gefühlsmäßige Bewerten und das Erkennen und Benennen des Erlebten als „dieses oder jenes“ – also vedana und sañña – hier vor dem „Dürsten“ (Verlangen) genannt wird, erklärt sich aus der therapeutischen Absicht der Analyse: so können wir den möglicherweise auftretenden Durst hemmen und potentiell stillen. Betrachten wir die einzelnen Teile dieses Prozesses:

Phassa und vedana. Bei Kontakt entstehen Empfindungen wie hell, kühl, laut, kribbelnd heiß, fest usw. – aber noch ohne jedes Wissen, dass man dies empfindet. Daher ist phassa der Pfeiler, der den ganzen Wahrnehmungsprozess stützt. Zu jedem Sinneneindruck gehört aber ein Gefühlswert, der alles Erleben affektiv tönt. Die vedana stoßen uns gewissermaßen entsprechend unserer psycho-physischen Struktur und unserer aktuellen Befindlichkeit zu. Dabei erscheint das Überlebensförderliche in der Regel als angenehm.

Die Beziehung zwischen phassa und vedana wird traditionell als gleichzeitig entstehende, wechselseitige, unterstützende, karmareifende, nährende, verknüpfende, mit-vorhandene und nicht-verschwindende Bedingtheit bezeichnet (vgl. "Buddhistisches Wörterbuch" von Nyanatiloka).

Cetana ist der „Zustand von ceto in Aktion“. Ceto oder auch citta wird unterschiedlich (und aus nicht immer ersichtlichen Gründen) als „Herz“, „Geist“ oder „Denken“ übersetzt. Es ist eine Art Oberbegriff für das, was wir meist „Bewusstsein“ nennen. Durch die in diesem Moment aktive Schubkraft des Lebendigseins richtet cetana den Organismus auf gewisse Qualitäten oder Objekte aus. Cetana ist eine aktive, motivierende und richtungsgebende Funktion, die man mit „Intentionalität“ übersetzen kann oder vereinfachend als „Wille“. Im Vergleich zu cetana sind phassa und vedana eher passive Bewusstseinsfunktionen, die durch psycho-physische, lebensgeschichtliche, stammesgeschichtliche (evolutionäre) und karmisch bedingte Sensibilität eines Wesens bedingt sind. Im Buddhismus versteht man unter cetana gewöhnlich reflexiv bewusste Willensregungen: gezielte Absichten, entschiedenes Wollen – und das heißt: neues Karma.

Im Bereich des kamma-niyama werden die vormals nicht reflexiv bewussten Motive und Verhaltensweisen zu absichtlichen, entschiedenen Willenshandlungen, zu Karma. Vielleicht ist es richtiger zu sagen: sie können dazu werden. Unser Verhalten wirkt immer – gleichgültig wie bewusst es ein mag – modifizierend auf unser weiteres Leben ein. Insofern bedingt es unser zukünftiges Sein. Im deutschen Idealismus heißt das: das Bewusstsein bedingt das Sein.

Je achtsamer und heilsamer wir leben, desto gesünder und süßer werden die Früchte sein. „Karma ist cetana“ (Buddha).

sañña. Jene Bewusstseinsfunktion, die zunächst ein „Etwas“ aus dem ganzheitlichen Erlebnisstrom herauslöst und es dann gegebenenfalls als „dieses oder jenes“ bestimmt wird sañña genannt, Apperzeption. Das aktuelle Empfinden wird mit biologisch angelegten oder lebensgeschichtlich gelernten Wahrnehmungsmustern verglichen und zugleich auf die gerade vorhandene Motivation bezogen. Dann kommt es zu einem Einrasten – „das ist es“ – auch eine Leistung von sañña.

Es gibt auch unbewusstes (nicht-reflexives) cetana: eine kribbelnde, aber noch nicht als Kribbeln erkannte Sinnesempfindung (phassa) überschreitet eine gewisse Intensität; irgendwann wird sie als kribbelnde Körperstelle lokalisiert (sañña) und als unangenehm bewertet (vedana). Die Intention (cetana) entsteht, das Kribbeln zu beseitigen.

Außerdem ist sañña in Verbindung mit unseren Wünschen, Befürchtungen und Absichten (cetana) maßgeblich an dem beteiligt, was man seit Freud und Jung als Fehlleistungen und Projektionen bezeichnet.
 
Es geschieht dabei noch etwas Problematisches, denn im Zuge der Symbolisierung wird die Leistung von sañña nämlich gewissermaßen verdoppelt: Das ursprünglich in den Fluss der Erlebens eingebettete Etwas wird zu einem unabhängigen „Ding“. Das führt dazu, dass wir Landkarte und Lebenswirklichkeit verwechseln.

Sañña bildet somit eine Art Dreh- und Angelpunkt in der Gesamtsituation des Erlebens.

Sañña wird oft, aber nicht immer, von egozentrischen Interessen und Motivationen geleitet.
 
Sañña zerschneidet den Strom des Erlebens in einer Welt mental konstruierter „Dinge“ und „Subjekte“. (Scheinrealität von Ich und Ander)

manasikara. Bedeutet wörtlich „etwas im Geist machen“ oder „im Geist handeln“ und wird oft mit Erwägen übersetzt. Manasikara fokusiert das bewusste Erleben auf Objekte oder Eigenschaften und hält es dort. Dabei steht es oft im Dienste von cetana; wenn diese heilsam ist, spricht man von yoniso-manasikara (weiser Aufmerksamkeit). Auf jeden Fall findet durch manasikara eine Fixierung statt, damit beanspruchen wir etwas für uns.

Cetana und manasikara sind immer karmischer Natur, sañña nur manchmal.
(Diese Analyse ist detailliert zu finden in Dhammalokas "Säe eine Absicht, ernte ein Leben")

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