Abschnitt ErDa-5 - Sinnlichkeit und Sakrament: .

V. 8. Die Quelle aller Hindernisse
oder: Wie man außerhalb der Meditation die Meditation verbessert

zuletzt geändert am 6. Januar 2018


Wer kennt das nicht. Man setzt sich in Meditation, um den Geist zu beruhigen – und was macht der: er beruhigt sich nicht, alles Mögliche und Unmögliche kommt hoch.

Da hattest du den Vorsatz gefasst, dass dich deine Meditation beruhigen soll und du dann in deinen Alltag die meditative Ruhe und Weisheit eines spirituellen Menschen bringen kannst - aber es scheint genau anders herum zu laufen: Die geistige Verwirrtheit, die Überfüllung des Alltages, setzt sich auch noch in der Meditation fort! Frustriert gibst du auf oder wartest darauf, dass dir endlich der richtige Meditationslehrer erscheint, der dir den entscheidenden Hinweis gibt – und dann geht plötzlich alles wie von selbst. Mit anderen Worten: du gibst auf oder du wartest auf ein Wunder.

Beides sind deutlich suboptimale Strategien. Buddhismus heißt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Du hast vielleicht erwartet, dass du dich täglich eine halbe Stunde in Meditation setzt und du dadurch zu einem anderen Menschen wirst und den Rest des Alltages dadurch besser in den Begriff bekommst.

Du wolltest durch eine halbe Stunde die anderen täglichen 23,5 Stunden ändern, stark beeinflussen. Aber Beeinflussung geht in beide Richtungen. Natürlich beeinflussen die 23,5 Stunden Alltag die 0,5 Stunden Meditation. Das Verhältnis steht also etwa 50:1 gegen Meditation. Das ist so, als würde in einem Kampf von einem Kämpfer erwarten, 50 Gegner besiegen zu können. Das kommt mitunter in manchen Filmen vor, ist jedoch sehr wirklichkeitsfremd.

Was du brauchst, sind Verbündete. Deine meditative Haltung darf nicht im Gegensatz zu der fünfzigfachen anderen Zeit stehen, du musst den Geist des spirituellen Lebens in die Zeit außerhalb der Meditation bringen. Was aber macht den Geist des spirituellen Lebens aus?

  • Großzügigkeit macht das spirituelle Leben aus - und nicht etwa Geiz und Besitzstreben.
  • Freundlichkeit macht das spirituelle Leben aus - und nicht etwa Abneigung, Ärger, Wut und Zorn.
  • Ethik macht das spirituelle Leben aus - und nicht etwa Ichbezogenheit.
  • Geduld macht das spirituelle Leben aus - und nicht etwa Hetze und Zeitdruck.
  • Tatkraft macht das spirituelle Leben aus - und nicht etwa hasenfüßige Unentschlossenheit.
  • Konzentration macht das spirituelle Leben aus - und nicht etwa Multitasking.
  • Weisheit macht das spirituelle Leben aus - und nicht etwa bloßes Bücherwissen.
Wie komme ich aber dazu, großzügiger, freundlicher, ethischer, geduldiger, tatkräftiger, konzentrierter und weiser zu sein?

Nun eben indem ich Großzügigkeit (auf Pali dana) einübe, indem ich Freundlichkeit (metta) einübe, indem ich Ethik (sila) einübe, indem ich Geduld (ksanti) einübe, indem ich Tatkraft (virija) einübe, indem ich Konzentration (jhana) einübe, indem ich Weisheit (panna) einübe.
 
Wir sehen daraus: der Dharma, die Lehre des Buddha ist eigentlich weniger eine Religion, weniger ein Glaubenssystem als vielmehr ein Übungssystem, eine Trainingseinheit. Und so, wie wir unseren Körper trainieren müssen, wenn wir an einem Marathonlauf teilnehmen wollen, so müssen wir unseren Geist trainieren, wenn wir uns spirituell entwickeln wollen, wenn wir zum entscheidenden Zwischenziel kommen wollen, wenn wir ein happy healthy human being sein wollen.

Für alle die genannten Fähigkeiten, die für den Pfad des Dharma typisch sind, also Großzügigkeit, Freundlichkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft, Konzentriertheit und Weisheit, gibt es Übungsmethoden – allgemeine und spezifische. Eine spezifische Übungsmethode zur Entwicklung von Freundlichkeit haben wir alle schon kennen gelernt, es ist die metta bhavana.

In diesem Beitrag möchte ich über einige allgemeine Übungsmethoden berichten, Verhaltensregeln, auf die wir in den 23,5 Stunden täglich achten sollten, in denen wir nicht meditieren. Und das Entscheidende ist Achtsamkeit. Betrachte, ob das, was du jeweils tust, spirituell gesehen geschickt (kusala) oder ungeschickt (akusala) ist. Also frage dich:

  • führt das, was ich gerade praktiziere tendenziell zu Großzügigkeit oder zu Besitz?
  • führt das, was ich gerade praktiziere, tendenziell zu Freundlichkeit oder zu Abneigung?
  • führt das, was ich gerade praktiziere, tendenziell zu Ethik oder zu Egoismus?
  • führt das, was ich gerade praktiziere tendenziell zu ksanti (Geduld), oder zu Hippeligkeit?
  • führt das, was ich gerade praktiziere, tendenziell zu Tatkraft oder zu Unentschlossenheit?
  • führt das, was ich gerade praktiziere tendenziell zu Konzentriertheit oder zu Oberflächlichkeit?
  • führt das, was ich gerade praktiziere, zu Weisheit oder zu verblendeten Projektionen?
Mein erster Ratschlag an dich ist heute also (wieder einmal): Sei achtsam!

Eine ganze entscheidende Übung außerhalb der Meditation ist das Hüten der Sinnespforten. D. h.: achte darauf, was du an deine Sinnesorgane zu kommen erlaubst. Nehmen wir das Sehorgan. Was sehe ich mir an. Welche Filme sehe ich? Dienen diese dazu, Verlangen zu erzeugen, oder Stille, Schlichtheit und Genügsamkeit? Und ich meine gar nicht einmal nur, dass wir uns bei der Auswahl des Filmtitels eher für den Titel „Sieben Jahre in Tibet“ als für den Titel „Kettensägenmassaker“ entscheiden sollten. Die Einflüsse sind viel subtiler.

Wir sehen vielleicht gerne romantische Filme. Und hinterher sind wir unzufrieden, weil unser Partner so viel weniger vollkommen ist als die Idealgestalt des Filmes. Seit dem Zeitalter der Romantik, seitdem die romantische Liebe durch Literatur und später Film verklärt wurde, steigen die Scheidungsraten, gehen Beziehungen häufiger und schneller durch Enttäuschung zu Ende. Offensichtlich führen romatische Filme zu Enttäuschungen.

Enttäuschung ist das Ende von Täuschung. Diese Täuschung, wie Beziehungen zu sein haben, haben wir aber durch entsprechende Konditionierung durch die Art von Büchern und Filmen, die wir uns reinziehen, verursacht. Dies ist nur ein winziger Ausschnitt dessen, was mit „Hüten der Sinnespforten“ gemeint ist. Aber entscheidend ist, dass ihr diesen altmodisch-fremden Ausdruck „Hüten der Sinnespforten“ nicht vergesst, und dass ihr euch tatsächlich immer öfter fragt: hüte ich meine Sinnespforten in der richtigen Weise? Was sollte ich meinen Augen, meinen Ohren, meiner Haut, meinen Gechmackspapillen, meiner Nase und vor allem meinem Geist zumuten, was sollte ich an diese Sinnesorgane heranlassen?

Mein zweiter Ratschlag ist also: Hüte deine Sinnespforten!

Beim Hüten der Sinnespforten ging es um den qualitativen Aspekt des Inputs. Entscheidend ist aber nicht nur der qualitative, sondern auch der quantitative Aspekt des Inputs.

In unserer Informationsgesellschaft nehmen wir immer mehr Input auf. Ein großer Teil davon ist total irrelevant und das Zweitbeste, was wir damit machen können, ist ihn gleich wieder zu vergessen. Das Beste wäre natürlich gewesen, diesen Unfug gar nicht erst an uns heran zu lassen. Wenn es sich aber nicht um Unfug handelt, wenn es um wesentliche Dinge geht, dann führt diese Überfütterung mit Input dazu, dass dies alles unverdaut in uns hereingefressen wurde. Und dann ist es kein Wunder, wenn diese Vielzahl an Eindrücken dann nach oben drängt, wenn der Geist nicht allzu intensiv mit einer anderen Denktätigkeit beschäftigt ist, also im Schlaf oder in der Meditation.

Bhante Sangharakshita hat einmal gesagt, das Verhältnis von Inputzeit zu Reflexionszeit sollte 1:100 sein. Also wenn ich eine Minute einen Text lese oder höre, wäre es angemessen, 100 Minuten, immerhin mehr als eineinhalb Stunden, darüber zu reflektieren. Wenn also so ein Beitrag von mir wirklich inhaltlich sinnvoll wäre, und wir ihn uns ganz erschließen wollten – diesen Vortrag zu lesen brauchst du vielleicht 10 Minuten, dann müssten wir darüber 1000 Minuten reflektieren, also rund 18 Stunden, um ihn tatsächlich so durchdrungen zu haben, dass er bei uns angekommen ist, dass wir beginnen, ihn umzusetzen, dass wir dabei ankommen, unser Verhalten zu ändern. (Das ist übrigens der Grund, warum ich zu Beginn dieses Kurses dazu aufgefordert habe, niemals mehr als einen neuen Text aus dieser Reihe zu lesen.)

Daher mein dritter Ratschlag: Nimm dir Zeit zum Reflektieren!

Wenn wir also die Quantität unseres Inputs reduzieren und die Qualität verbessern wollen, ist eine entscheidende Frage, mit wem wir Umgang pflegen. Wie sind die Leute drauf, mit denen wir gewöhnlich zusammen sind? Sind das notorische Schwätzer oder sind das Personen, mit denen wir auch einmal verständnisinnig schweigen können? Das betrifft den quantitativen Aspekt; dann kommt der qualitative Aspekt: tragen die Gespräche mit dieser Person dazu bei Großzügigkeit, Freundlichkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft, Konzentriertheit und Weisheit zu steigern? Oder führen die Gespräche mit unseren bisherigen Freunden dazu, eher Verlangen, Ärgerlichkeit, den Greifreflex, die Ungeduld, die Unentschlossenheit, das Plappern anzuspornen?

Daher mein vierter Ratschlag: pflege spirituelle Freundschaften!

Noch etwas Weiteres ist wichtig, wenn wir unser Leben in spiritueller Weise umgestalten wollen. Und das habe ich im Meditationsraum am Obermarkt an die Wand gemalt, damit man es gar nicht übersehen kann, und man kann es gar nicht oft genug erläutern, ich habe es auch eben schon angesprochen, es ist der Greifreflex.

Bild "Abhängiges Entstehen" im Meditationsraum am Obermarkt

Es geht wieder einmal um die Punkte 5 bis 8 in unserer Kette des bedingten Entstehens, um unser animalisches Verhalten im Rahmen des Reiz-Reaktions-Schemas: wir haben unsere sechs Sinnestore (salayatana, Bild 5) daher kommen wir ständig in Kontakt mit etwas (phassa, Bild 6), unmittelbar darauf haben wir eine Empfindung, eine Bewertung (vedana, Bild 7), wir sehen das Wahrgenommene als positiv, negativ oder neutral an. Ist es negativ, dann regieren wir mit Aversion. Ist es positiv, reagieren wir gewöhnlich mit Verlangen (tanha, Bild 8) und schon ist unser Greifreflex angesprochen Zugreifen, Ergreifen Festhalten, Speichern (upadana, Bild 9).

Dies ist das animalische Reiz-Reaktionsschema der niederen Evolution. Wir können aber auch anders handeln, nicht animalisch, sondern als homo sapiens sapiens, als weiser Mensch, wir können kreativ handeln statt reaktiv.

Daher mein fünfter Ratschlag: emanzipiere dich von deinem Greifreflex, evolviere,
emanzipiere dich von deiner animalischen Konditionierung, werde zum wahren Menschen, beschreite den Pfad der Höheren Evolution, entwickle dich schrittweise zum Zwischenziel, dem happy healthy human being – und wenn du willst, auch noch weiter. Und das eben ist mein fünfter Ratschlag an euch.

Ich fasse zusammen. Nicht nur wirkt die Meditation in unser Leben hinein, auch unser Leben wirkt - meist in stärkerem Maße - in unsere Meditation hinein. Wenn wir das wissen, können wir außerhalb der Meditation üben, die Bedingungen zu schaffen, dass unsere Meditation effektiver wird, dass wir uns in Richtung happy healthy human being und Vollkommenheit entwickeln und dazu habe ich euch fünf Ratschläge gegeben:

1. Sei achtsam!
2. Hüte deine Sinnenpforten!
3. Nimm dir Zeit zum Reflektieren!
4. Pflege spirituelle Freundschaften!
5. Evolviere!


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