Abschnitt ErDa-6 - Das Bauchgefühl als Partner:
VI. 4. Gefühle und Emotionen .
letzte kleine Änderungen am 6. Januar 2018
Nachdem wir uns nun mit der Wahrnehmungssituation befasst haben, deren Kenntnis Voraussetzung dafür ist, dass wir verstehen, wie wir Gefühle wahrnehmen, wenden wir uns den Gefühlen und Emotionen zu, sowie unserem Umgang damit.
 
Aufgrund dieser Art wahrzunehmen sehen wir nicht wirklich, sondern wir imaginieren, wir stellen aufgrund unseres verblendeten, verbildeten Geistes und auf der Basis von phassa und vedana aber kontaminiert durch cetana und manasikara ein Image, ein eingebildetes Bild von dem Objekt, her, das nicht seiner Wirklichkeit entspricht. Und ein solches Objekt von dem wir ein Image, ein imaginiertes Bild, statt der Realität haben, ist auch unsere eigene Person. Mitunter bricht aber die Realität ein:
  • wir fühlten uns gesund und erfahren plötzlich, dass wir Krebs haben
  • wir verlieren unseren sicher geglaubten Job
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  • unsere ausgezeichnet laufende Firma bricht wegen Insolvenz eines Großkunden zusammen

  • wir stellen fest, dass unser Ehepartner seit 25 Jahren ein Verhalten hatte, dass uns völlig entgangen ist.
  • In solchen Fällen bricht das imaginierte Bild zusammen und plötzlich erkennen wir, dass es seit Jahren von uns ignorierte Hinweise gab: wir haben die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen.
     
    Das Problem ist nicht nur, dass wir uns ein imaginiertes Bild geschaffen haben, sondern dass wir es für die Realität hielten. Können wir dahin kommen, ohne die oben genannten (oder ähnliche) Katastrophen zu erleiden? Körperarbeit richtet sich an einen bestimmten Punkt unseres Körpers. Aus Gewohnheit halten wir ihn für sein imaginiertes Bild und betrachten dieses. Durch tiefes Blicken (um die Diktion von Thich Nhat Hanh zu übernehmen) aber gelingt es, diese Schale zu durchbrechen, und wir sehen den wirklichen Körper statt unserer Imagination, unserer Einbildung. Dieser Prozess ist erfolgreich, aber er geht alles andere als schnell.
     
    Das Problem ist also, dass wir bei jeder unserer Wahrnehmungen normalerweise nicht bei dem wirklich Geschehenen bleiben, sondern diese bereits in der Wahrnehmungssituation verarbeiten, wobei unsere egoistischen Interessen eine große Rolle spielen. Dies ist das, was in der buddhistischen Analyse der „in der Wahrnehmung allgegenwärtige Faktor manasikara“ ist, den man mit "egoistischer Inanspruchnahme" übersetzen kann. Genau das ist es, was uns die Welt so leidvoll macht, genau damit erschaffen wir samsara. Wir erschaffen eine mentale Welt, die unseren Erwartungen, Wünschen und Projektionen entspricht – und sind ungeheuer enttäuscht, wenn die Welt so ist, wie sie ist, und nicht so, wie wir sie wähnten. Das ist der Grund, warum der Buddha dem Bahiya den Rat gab: im Sehen nur das Gesehene, im Hören nur das Gehörte. Nur dadurch können wir samsara überwinden - der Bahiya erreichte die Erleuchtung – er wähnte nicht mehr, in ihm war nir-gends mehr Wahn - Nirwana.
     
    Was bei der Wahrnehmung von Emotionen Not tut, ist einfach auf die Emotionen zu achten, statt uns Geschichten über ihren Ursprung zu erzählen. Wir müssen also genau das machen, was Thich Nhat Hanh „tief blicken“ nennt.
     
    Es ist eminent wichtig, tatsächlich bei den reinen Emotionen zu verweilen, denn sie sind nichts, was uns einfach nur so zustößt, sie enthalten vielmehr eine Botschaft. Sie sind eine Äußerung aus der prä-sprachlichen Zeit und wollen so behandelt werden, als Hinweis – dann führen sie uns allmählich selbst zum Ziel. So gelingt es uns, ohne auf unseren verbildeten Denksinn zuzugreifen, mitunter spontan eine als irrational erscheinende Antwort zu finden, ein spontanes Handeln, das die Situation in Wohlgefallen auflöst, man nennt das auch paradoxe Intervention.

    Wir leben in einer entfremdeten, technisierten, von Sachzwängen geprägten Welt, die nicht unsere natürliche Umwelt ist. Sind wir aber unserer natürlichen Umwelt entfremdet, so handeln wir wie abgetrennte Wesen, die wir nicht sind: narzisstisch (es geht immer nur um mich) und individualistisch (ich darf machen was ich will, ohne Rücksicht auf irgendetwas oder –jemanden).

    Emotionen sind also nicht etwas, was uns einfach geschieht. Unsere wechselhaften Stimmungen, deren Ursache wir häufig nicht verstehen, sind Gefühle, die von außen kommen. In vielen spirituellen Traditionen heißt es, sie seien Äußerungen der Ahnen (also unseres evolutionären Erbes), manche Traditionen sehen sie als von unsichtbaren Welten (Archetypen) her kommend an; Carl Gustav Jung hielt sie für die Träger des Transzendenten; im Vajrayana-Buddhismus werden sie als aus der Buddha-Natur (also aus unserer unverbildeten, prä-egoistischen Natur) kommend angesehen. Aus all dem kann man nur schließen, dass es wichtig ist, diese mit yoniso manasikara (weisem Erwägen) zu kontemplieren und uns dabei dem interpersonellen oder transpersonalen Kontextes zu stellen.

    Wenn wir im Gesehenen nur das Gesehene, im Empfundenen nur das Empfundene erkennen wollen, dann müssen wir mit unserer verbildeten, verkopften, begrifflichen Kategorisierung aufhören, wir müssen umschalten vom Selbst-Bewusstsein zur Körper-Achtsamkeit Erst, wenn wir aufhören zu wissen, können wir erfahren, fühlen, empfinden. Es gibt hier und jetzt tausend wichtige Entdeckungen zu machen - warum in die Ferne schweifen....

    Kommen wir in diesem Zusammenhang auf Buddhas Begriff von Nicht-Ich zurück. Es ist wesentlich, diesen Ego-Gedanken zu überwinden, um uns der Realität auf zweierlei Weise zu stellen. Wir müssen erkennen, dass wir nicht abgetrennt sind vom Makro-Kosmos: Ich bin nicht abgetrennt von meinen Mitgeschöpfen, von sozialen Netzwerken (damit meine ich Netzwerke aus wirklichen Personen nicht twitter o. ä.!), von den Vier Elementen, von diesem Planeten, von diesem Universum.

    Aber wir sind auch Nicht-Ich, weil wir nicht abgetrennt sind vom Mikrokosmos. Unser Körper besteht aus Milliarden Zellen, von denen eine jede wahrnimmt, empfindet, jede dieser Milliarden von Zellen hat Rezeptoren, hat Wahrnehmungs- und Empfindungsorgane. Jede Zelle ist ein fühlendes Wesen. Du bist nicht eine Einheit, du bist ein soziales Gebilde von Zellen. Und dieses Geflecht aller dieser Zellen in dem Körper, den du für den deinen hältst, bilden ein soziales Netzwerk, diese Zellen interagieren, sie reagieren aufeinander, handeln und lernen. Du bist also viel mehr, als dir dein verblendetes Ego weismachen will!


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