Das Raumelement  (Äther; Leere)
letzte Änderungen: 2015-06-11
Vortrag von Horst Gunkel aus der Reihe „Erdverbundene, körperbetonte Meditation“



 

Seit vielen Jahren halte ich hier buddhistische Vorträge, auch über die Elemente. Mitunter sprechen wir von den Vier Elementen in den großen spirituellen Traditionen, also von Erde, Wasser, Luft und Feuer, mitunter auch noch vom Raumelement und vom Bewusstseinselement. Über die ersten vier Elemente habe ich schon häufiger gesprochen, in letzter Zeit auch - z. B. in Vortrag "Karma 2.0" - über dasBewusstseinselment, aber noch nie über das Raumelement. Das lag daran, dass ich in der Literatur bislang nur sehr wenig Hilfreiches über das Raumelement gefunden habe. So habe ich mich also entschlossen, nach sehr wenig Hören (Lesen) zu diesem Thema, aber reichlichem Reflektieren und Meditieren, selbst etwas aufzuschreiben.

Die alten Kulturen und mit ihnen die alten spirituellen Traditionen kannten meist eine Vier-Elemente-Leere und sahen als diese vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer an.

Unter dem Erdelement wurde alles Feste verstanden, also Erde, Steine, Bäume, Knochen, Fahrzeuge. Mit Wasserelement wurde alles bezeichnet, was fließt, also beispielsweise Wasser, Blut, Sperma, Eiter und im übertragenen Sinne auch die Zeit. Mit dem Luftelement konnte alles Gasförmige, aber auch alles sehr Bewegliche bezeichnet werden, also Luft, Gase, Wind, Atem, auch im übertragenen Sinne der Odem, also der Lebenshauch. Und Feuerelement stellt alles, was eine Temperatur hat, dar, man kann auch Hitzeelement dazu sagen, im übertragenen Sinne auch alles Aufsteigende und die Kraft der Transformation. Wenn man Transformation und Aufsteigen als eine Einheit nimmt, dann ist damit sogar auch das Prinzip der Evolution abgedeckt.

Kulturen, die mit diesen vier Elementen oder Essenzen arbeiteten, waren unter anderem die Griechen, die Ägypter, die Inder und die Araber. Die Idee des Periodensystems der Elemente, das wir aus dem Chemieunterricht kennen, ist eine neuzeitliche Ausdifferenzierung dieses ursprünglichen Gedankens in den Naturwissenschaften; die spirituellen Traditionen hingegen arbeiten weiter mit dem für ihre Belange zweckmäßigeren Vier-Elemente-System. Allerdings gab es auch hier teilweise eine Ausdifferenzierung in fünf oder sechs Elemente. In einzelnen buddhistischen Schulen finden wir vier Elemente, in machen fünf in anderen sechs. Als fünftes Element kommt dann der Raum hinzu, als sechstes das Bewusstsein.

Heute möchte ich mich mit dem fünften Element beschäftigen, dem Raumelement. In unserem Kulturraum war es Aristoteles, der das fünfte Element einführte und es als Äther oder auch Quintessenz bezeichnete. Das Wort Quintessenz zeigt von der reinen Wortbedeutung her, dass es sich um die fünfte Essenz handelt. Mit Quintessenz bezeichnen wir jedoch auch all das, was alles andere enthält.

Und so können wir in unserem Körper tatsächlich Erdelement entdecken, z. B. in unseren Knochen, Haaren und Zähnen, aber auch Wasserelement, z. B. im Blut, der Lymphflüssigkeit oder dem Speichel, das Luftelement insbesondere in unserem Atem aber auch in der Beweglichkeit unseres Körpers, und das Feuerelement in unserer Körpertemperatur, die fast immer eine andere ist als die Umgebungstemperatur, meist eine höhere, wieso der Begriff Hitzeelement auch als Synonym verwendet wird. Unser Körper bildet aber auch einen bestimmten Raum, der eben diese vier anderen Elemente enthält.

Und wenn wir in einem noch größeren Maßstab denken, dann sehen wir das Erdelement zum Beispiel in den Planeten, das Feuerelement in den Sonnen, das Wasserelement in den kreisförmig fließenden Bahnen der Planeten sowie das Luftelement in der Expansionskraft des Universums. Und der Raum, der das alles umschließt ist das Weltall. Das Wort Äther wird dem haargenau gerecht, denn es ist das griechische aither: ,der (blaue) Himmel‘.

In der buddhistischen Hauptrichtung des Mahayana kommt diesem blauen Himmel eine besondere Bedeutung zu. In allen Visualisierungsmeditationen, wird das Meditationsobjekt aus dem blauen Himmel aufgebaut und zuletzt wieder in diesen aufgelöst. Darin wird die Bedeutung des blauen Himmels, oder Äthers, der als Quintessenz alles umfasst, besonders deutlich. Das Mahayana verwendet dafür das Wort sunyata, Leere oder Leerheit, aus der alles entsteht, die alles enthält und zu der alles zurückkehrt.

Aber auch das Theravada kennt das Raumelement, es trägt den Namen akasa, der in zweierlei Bedeutung verwendet wird, als durch Körperlichkeit begrenzter Raum, akasa-dhatu, und als unbegrenzter Raum, ajatakasa, den Weltenraum.

Die Idee der Leerheit ist die von Potentialität. Alles Bestehende klammert durch seine Existenz alles andere aus. Ein Auto ist weder eine Blume noch ein Luftballon - und das obwohl alle diese Dinge aus Materie besteht, wobei Materie wiederum eine Erscheinungsform von Energie ist, wie uns die moderne Physik lehrt. Damit ist Leerheit die energetische Potentialität, die alles ermöglicht. Die Leerheit ist der blaue Himmel aus dem unser Geist alles erschafft, was in einer sadhana visualisiert werden kann.

Im Buddhismus sind die drei wichtigsten Merkmale alles abhängig Entstandenen

Dukkha – Unvollkommenheit
Anicca – Vergänglichkeit und
Anatta – Fehlen eines beständigen Wesenskerns

Dies wird vor allem auf die eigene Person in der Reflexion und der Meditation angewandt. Die ersten vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer haben wir in diesem Zusammenhang in früheren Vorträgen schon als unvollkommen, vergänglich und ohne festen Wesenskern kennengelernt.

Machen wir nunmehr die Quintessenz aus all dem zu unserem Meditationsobjekt, so wird deutlich, dass das, was wir gewöhnlich für unser Selbst ansehen, also das, was vom Scheitel bis zur Sohle vorhanden ist, ebenso vergänglich und wesenslos ist.

Wir hatten gesehen, dass Erdelement, Wasserelement usw. durch den Stoffwechsel beständig ausgetauscht werden. Dennoch haben wir den Eindruck, dass unser Körper, also der durch Körperlichkeit begrenzte Raum, der akasa-dhatu, uns doch weiter gehört, da werden zwar Bestandteile ausgetauscht, aber es bleibt doch im Wesentlichen immer derselbe Raum, den mein Körper ausfüllt. Allerdings gehört mir auch dieser Raum nicht, oder wie es der Buddha ausdrückte: Das bin ich nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein Selbst. Zum einen verändert sich mein Körpervolumen schon beim Atmen, mit dem Ein- und Ausatmen, was einmal mehr deutlich macht, wie wir mit der Atemachtsamkeit tatsächlich auch das Raumelement erfahren und kontemplieren können.

Ich finde es völlig natürlich, dass niemand gegen meinen Willen in meinen Körper eindringen darf, weder mit einem Messer noch mit einem Körperteil von ihm. Dies ist – wie ich glaube - „mein“ durch Körperlichkeit begrenzter Raum. Ja, mehr noch: ich habe einen gefühlten Raum, der größer ist als mein Körper. Wenn jemand, obwohl viel Platz da ist, mir zu nah auf die Pelle rückt, fühle ich mich unwohl. In mein Auto darf kein Dritter rein, dem ich nicht die Erlaubnis dazu gegeben habe. Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird grundgesetzlich garantiert: my home is my castle. Eine Handtasche ist ebenso sehr Teil meines Intimbereiches, wie mein Handy oder mein Computerspeicher.

Jedoch ist das alles nur eine rechtliche Fiktion. Schon wenn ich meinen Körper einen Meter weiter bewege, habe ich zwar vom Volumen her die gleiche Menge Raum okkupiert, aber eben einen anderen Raum. Der Raum, den ich vorher besetzt hielt, der kann jetzt von einer anderen Person eingenommen werden, er gehört mir nicht. Letztlich ist der von meinem Körper momentan eingenommene Raum ein Stück des Volumens des Planeten Erde, der nicht nur aus Erdelement, sondern eben auch aus Wasser-, Luft- und Feuerelement bzw. in seiner Quintessenz aus Raum besteht.

Und selbst wenn ich die soundsoviel Kubikdezimeter Raum, die mein Körper einnimmt als „mir“ betrachte, so weiß ich doch, dass selbst das nur eine vorübergehende, vergängliche Fiktion ist ohne festen Wesenskern, denn in wenigen Jahren oder Jahrzehnten wird es diesen Raum, den ich als durch meine Körperlichkeit begrenzt ansehe, nicht mehr geben: Das bin ich nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein Selbst.

Und mit dieser Erkenntnis ist nicht nur die Vergänglichkeit der jeweiligen Materiebestandteile meines Körpers gemeint, sondern letztendlich die Leerheit meines ganzen Ich. Es ist vergänglich, daher unvollkommen und offensichtlich ohne festen Wesenskern.

Da bleibt nur noch ein einziger Strohhalm, an den ich mich klammern kann, nämlich, dass vielleicht mein Geist erhalten bleibt und dereinst wieder auftaucht - vielleicht im Jenseits, im Paradies oder durch Wiedergeburt in einem neuen Wesen. Darüber werde ich jetzt jedoch nichts sagen, denn das wäre bereits der Vortrag über das Bewusstseinselement - die nächste nicht minder spannende Kontemplation.


© Copyright 2015 by Horst Gunkel, Gelnhausen
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