E R D E
letzte Änderungen: 2016-02-10
Vortrag von Horst im April 2015 aus der Reihe „Erdverbundene, körperbetonte Meditation“


Mein heutiger Vortrag hat den sehr kurzen Titel „Erde“. Was ist damit gemeint? Nun der Begriff „Erde“ hat mindestens drei Dimensionen. Ich werde zunächst versuchen, diese drei Dimensionen zu erläutern und danach den Zusammenhang zum Buddha und zu seiner Lehre, dem Dharma, darzustellen. Schließlich gehe ich darauf ein, was das für uns heute hier bedeutet. Und das alles ist viel kürzer als ihr jetzt denkt!

Unter Erde versteht man

• das Erdelement
• den Boden
• unseren Planeten
diese drei Dimensionen sind dabei nicht isoliert voneinander zu betrachten, so als wären es drei unterschiedliche Begriffe, die nur zufällig im Deutschen mit der gleichen Vokabel belegt sind, sondern es handelt sich um eine Einheit und um verschiedene Zugänge zu dem Phänomen, das wir Erde nennen.

Wenn wir vom Erdelement sprechen, dann meinen wir eines der vier klassischen Elemente, die in der Antike in vielen Kulturen der Welt zu einer Analyse des Bestehenden verwendet wurden. Unter dem Erdelement wird in diesem Zusammenhang alles Feste, Harte, Solide verstanden. Der Boden unter unseren Füßen ist hart, unsere Knochen sind hart, ein Stein ist hart und Kruppstahl ist hart – ihr erinnert euch. Auf Sanskrit nennt man die vier Elemente die mahabhutas. Maha heißt „groß“, bhuta ist abgeleitet von bhava (Werden) und heißt „gewachsen, geformt, geschaffen, geworden“. Man nennt die mahabhutas auch die vier großen Naturen oder die vier großen Geister.

Das erste Element, pathavi (Erde) drückt die Tendenz zur Solidität aus, apo (Wasser) die Tendenz zur Beweglichkeit, vajo (Luft, Wind) die Tendenz zur Expansion und tejo (Feuer) die zur Ausstrahlung. Damit beschreiben diese Elemente verschiedene Qualitäten physischer Formen. Nach manchen späteren Betrachtungen kommen noch das Raumelement und das Bewusstseinselement dazu. Aber als mahabhutas werden gewöhnlich nur die ersten vier bezeichnet.

Wenn wir uns aber den vier Elementen, den mahabhutas, wieder als „Großem Geist“ zuwenden, erkennen wir, dass das Universum ein lebendes Wesen ist, magisch und mysteriös. Wir erkennen mit anderen Worten, dass wir Teile von Gaia, unserer Mutter, des Planeten Erde sind, gespeist von der Wärme des Vaters Sonne, in Abhängigkeit mit uns unbekannten Dimensionen des Universums.

Wenn wir den Begriff mahabhuta (großer Geist) verwenden, verweisen wir auf (ich zitiere jetzt Sangharakshita): „etwas, das irgendwie entstanden ist, oder herbeigezaubert wurde – eine mysteriöse, anders-weltliche Erscheinung. Wenn wir an die vier Elementen als `große Geister' denken, dann wird deutlich, dass es nicht um Konzepte oder um unbelebte Materie geht, sondern um lebendige Kräfte. Das Universum lebt, auf magische Weise, und das spukhafte Auftreten der vier großen Elemente macht diese Erfahrung auf natürliche Weise mysteriös und unzugänglich für definierendes Wissen.“

Das also ist die erste Dimension des Begriffes Erde. Außerdem bezeichnen wir als Erde, den Boden unter unseren Füßen, den Erdboden oder auch den Mutterboden, was auf die Verbindung zum Weiblichen, zum Fruchtbaren, zum Mütterlichen hinweist. Diesmal zitiere ich Wikipedia: "Der Mutterboden, auch als Oberboden und unter Landwirten als Ackerkrume bezeichnet, ist der oberste und fruchtbarste Horizont des Bodens. (…) Neben Luft und Wasser sind Böden im Allgemeinen und Mutterboden im Besonderen eine wichtige Lebensgrundlage für Pflanzen, Tiere und Menschen und daher eine wertvolle, endliche Ressource. Mutterboden ist jedoch durch Erosion, Versiegelung, Eintrag von Giftstoffen und anderen Raubbau gefährdet. Daraus leitet sich eine eigene Boden-Ethik ab, die den Schutz und die Bewahrung dieses Mutterbodens zum Ziel hat."

Und schließlich versteht man unter Erde auch unseren Planeten, unsere Heimat, unsere Basis, unsere Mutter, die uns alle hervorgebracht. Unser Körper ist von der Erde nur geborgt und wird alsbald zu dieser zurückkehren in einem großen Recyclingprozess den wir Leben nennen und der aus Entstehen (bhava), jati (Geburt) und marana (Tod) besteht, die drei Begriffe finden wir in unserem Meditationsraum am Obermarkt an der Wand in einem Ausschnitt aus dem Lebensrad. Leben ist ein ewiger Prozess aus bhava, jati, marana, bhava, jati, marana, bhava usw. Träger dieses Prozesses ist unser Heimatplanet, die Erde, deren integraler Bestandteil wir sind.

Dieser Planet ist, wie wir seit den Bildern aus den Apollo-Raumschiffen vor einem halben Jahrhundert wissen, ein recht einzigartiges blaues Juwel im Weltall. Er ist die Grundlage allen Lebens, das wir kennen. Er ist das originäre Juwel im Ozean der Leerheit, im Universum, das originäre, das ursprüngliche Juwel, aus dem und auf dem diese drei anderen Juwelen, die wir Buddhisten verehren, entstanden sind: der Buddha, die Lehre und die Gemeinschaft der diese Lehre Praktizierenden. Sie alle und auch alles andere Lebendige konnte nur entstehen, da es den Planeten Erde gab und da es ihn genau so gab und gibt, wie er ist.

Der Buddha, der große Lehrer der Menschen, hatte eine ganz besonders intensive Verbindung zur Erde. Daher wird der Buddha ganz häufig in der bhumi-sparsa-mudra dargestellt, der Erdberührungsgeste, so zum Beispiel der blaue Buddha im Mandala der fünf Buddhaaspekte und dort auch der Buddha auf dem kleinen Schrein in unserem Meditationsraum. Bei der Erdberührungsgeste berührt der sitzende Buddha mit der rechten Hand die Erde.

Diese Geste geht auf eine Begebenheit kurz vor Buddhas Erwachen zurück. Es heißt Mara, der Böse, sei an ihn herangetreten und habe ihm gesagt, er könne niemals zum Erwachen kommen, so viel er auch meditiere, es sei vermessen von ihm daran zu glauben.

Mit anderen Worten, es ging dem Noch-Nicht-Buddha genauso wie uns, wenn wir uns in Meditation gelegentlich fragen, ob das nicht alles Zeitverschwendung ist, ob Meditation tatsächlich etwas bringt, ob wir uns so wirklich transformieren können. Man nennt das auch das Meditationshindernis vicikiccha, skeptischer Zweifel, Unentschlossenheit. Sicher kann uns Meditation allein nicht helfen. Meditation gedeiht nur wirklich gut, transformiert uns bekanntlich nur auf der Grundlage von Ethik. Und gerade diesen ethischen Wandel des angehenden Buddha hatte Mara angezweifelt.

Doch Siddhartha Gotama, der spätere Buddha, hat diese Unentschlossenheit besiegt und dafür steht die Erdberührungsgeste. Er berührt die Erde und ruft die ultimative Zeugin auf, er ruft Mutter Erde in den Zeugenstand um auszusagen, dass er über unendlich lange Zeit ethisch gehandelt habe. Handeln heißt auf Sanskrit „karma“. Und als Zeugin erscheint daraufhin wirklich die Erdgöttin sthavara, das heißt „die Stabile“, ein Begriff, der auf das Wesen des Erdelements verweist. Die Erdgöttin, dieser große Geist (mahabhuta) der Stabilität und Solidität, der Beharrlichkeit und Unerschütterlichkeit, bezeugt das ethische Handeln des Prinzen. Der aufkommende skeptische Zweifel des Siddhartha ist beseitigt, seinem Erwachen steht nichts mehr im Wege.

Diese Erdgöttin ist natürlich die mythologische Gestalt der Mutter Erde, die in allen indigenen Kulturen verehrt wird, es ist die Figur, die in unserem Kulturraum als Demeter verehrt wurde, es ist der Mutterarchetyp der Psychologie C. G. Jungs, es ist die griechische Göttin Gaia, d. h. die Gebärerin, es ist die römische Terra Mater, es ist die kleinasiatische Kybele, die nordische Jörd, die germanische Nerthus, die keltische Brighid, wovon der Name Brigitte abgeleitet ist, und es ist die Erdgöttin Erda aus Wagners Ring des Nibelungen. Und selbst der Katholizismus hat versucht eine entsprechende weibliche Fruchtbarkeitsgöttin, eine Übergöttin zu kreieren: die Mutter Gottes. Es ist diese universelle Muttergottheit unzähliger spiritueller Traditionen, die für Liebe, Entstehen, Fruchtbarkeit und Werden steht – und eben damit auch für Transformation und Entstehen des Neuen, also für das Entstehen – im übertragenen Sinne die „Geburt“ – des Buddha.

Der Buddha hat seit seinem Gang in die Hauslosigkeit eine besondere Beziehung zur Erde in allen Grundhaltungen, also im Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen. Beim Stehen ist das selbstverständlich, heißt es doch: mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Aber auch im Liegen verbindet sich der Buddha mit dem Boden, er schläft im Freien auf der Erde. Er erdet sich auch im Schlaf, im Bardo des Traumes; selbst hier ist er geerdet, fest auf dem Boden der Tatsachen.

Und der Buddha verbringt sein Leben im Gehen, er bewegt sich als Wanderer fort. Letztmals bei seinen vier Ausfahrten, also vor seinem Gang in die Hauslosigkeit, benutzte er einen Wagen. Letztmals beim Gang in die Hauslosigkeit benutzt er ein Reitpferd, von da an bewegt sich der Buddha zu Fuß fort, barfuß, immer verbunden mit der Erde, die ihn trägt. Schritt für Schritt geerdet beschreitet er den Edlen Achtfältigen Pfad.

Und auch in seiner Meditationshaltung im Sitzen ist der Buddha geerdet, er sitzt auf dem Boden, auf dem Erdelement, er erdet sich in dieser Haltung mit den Füßen, er erdet sich im Lotussitz zusätzlich mit den Knien, er erdet sich mit seinem Gesäß und mit dem Körperteil, das in Sanskrit muladhara heißt, das Wurzelcakra, ein Energiezentrum im Körper, das es dem Sitzenden ermöglicht „Wurzeln zu pflanzen“ und sich physisch und spirituell zu pflegen.

Die Erdverbindung, der Bezug zum Erdelement, zu unserer Basis, unserer Grundlage unserem Fundament war dem Buddha also ganz wichtig. Das Erdelement steht dabei für die physische Grundlage, Ethik steht für die spirituelle Grundlage.

Und auch für uns ist es wichtig, uns zu erden. Erde ist unser Ursprung, zur Erde werden wir zurückkehren, von der Erde sind wir niemals wirklich getrennt. Häufig jedoch verlieren wir uns in Träumereien, in Hirngespinsten, sind uns unserer Verbindung zur Erde nicht bewusst. Wenn das so ist, verlieren wir den Boden unter den Füßen – und dann ist unser Absturz vorprogrammiert. Das gilt selbstverständlich im übertragenen Sinn. Aber es ist auch ganz wichtig, durch kleine Rituale uns das immer wieder bewusst zu machen. Wir haben diesen Körper, der aus Erdelement ist – und aus Wasserelement, denn das ist bekanntlich nur eine beweglichere Form von Materie, auch Wasser ist natürlicher Bestandteil des Planeten Erde und des Mutterbodens.

Ein solches Ritual, mit dem wir uns mit der Erde verbinden, ist die Meditationshaltung. Wir bemühen uns so gut wie uns dies physisch möglich ist, uns zu erden. Mit den Füßen, mit dem Gesäß, mit dem Wurzelcakra, also dem Dammbereich, wenn möglich auch mit den Knien.  Ich zum Beispiel kann nicht im Lotussitz sitzen, dazu habe ich zu spät angefangen zu üben, erst als ich schon 40 war. Ich kann auch nicht vierzig Minuten mit voreinander liegenden Beinen sitzen, die Unterschenkel bis zu den Knien auf dem Boden. Daher habe ich unter die Knie eine Unterlage gelegt. Diese Unterlage ist etwas Festes, besteht aus Erdelement. Auch das Kissen, auf dem ich sitze, ist aus Erdelement. Es ermöglicht mir, ziemlich stabil zu sitzen. In buddhistischen Kreisen nennt man das: Sitzen wie ein Berg – fest,  stabil, unumwerfbar. Und ein Berg ist natürlich auch Erdelement, ist Teil dieses Planeten mit dem Namen Erde.

Damit wir nie diese zentrale Rolle der Erde vergessen, haben wir hier im Meditationsraum ein Bild vom Planeten Erde. Wenn ich hier allein im Meditationsraum bin, verbeuge ich mich vor dem Abbild des Buddha auf dem Schrein. Und ich verbeuge mich vor dem Abbild der Erde an dieser Wand. Namonama – Ehre, wem Ehre gebührt! Dem Buddha, unserem großen Lehrer, und Gaia, unserer großen Mutter.


© Copyright 2015 by Horst Gunkel, Gelnhausen

Zum Fernkurs ErDa-Projekt
.
Zu Meditation am Obermarkt
.
Zurück zu den Artikeln und Vorträgen
.
Zu den Audio-Vorträgen